Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.was aufzutragen an den Franz oder die Rosina? Einen Gruß etwa? Nein, Hochwürden, 's ist immer noch beim Alten zwischen dem Bauern und mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach. Die Andern sind ganz rechtschaffen, möcht' ihnen beim Vater keinen Verdruß machen, indem ich sie grüßen ließ'. Aber wenn Ihr etwa meiner Schwester begegnet -- nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall. Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, bückte er sich nach der Hand des Priesters, küßte sie ehrerbietig und schwang sich an dem langen Hellebardenschaft auf die Mauer zurück, wo er sogleich hinter dichtem Rebenlaub verschwand. Kopfschüttelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das Gespräch mit dem Jüngling beschäftigte sein menschenfreundliches Gemüth noch eine geraume Zeit. Aber die lange, tägliche Uebung einer ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das Oel der Geduld in eigene und fremde Stürme zu träufeln, hatten den schärfsten Stachel des Mitgefühls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maishütte lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedrückt, als wollte er sich bei lebendigem Leibe in' den Schooß der Mutter Erde vergraben, um vor einem übergroßen Kummer Zuflucht zu finden. Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben, was aufzutragen an den Franz oder die Rosina? Einen Gruß etwa? Nein, Hochwürden, 's ist immer noch beim Alten zwischen dem Bauern und mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach. Die Andern sind ganz rechtschaffen, möcht' ihnen beim Vater keinen Verdruß machen, indem ich sie grüßen ließ'. Aber wenn Ihr etwa meiner Schwester begegnet — nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall. Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, bückte er sich nach der Hand des Priesters, küßte sie ehrerbietig und schwang sich an dem langen Hellebardenschaft auf die Mauer zurück, wo er sogleich hinter dichtem Rebenlaub verschwand. Kopfschüttelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das Gespräch mit dem Jüngling beschäftigte sein menschenfreundliches Gemüth noch eine geraume Zeit. Aber die lange, tägliche Uebung einer ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das Oel der Geduld in eigene und fremde Stürme zu träufeln, hatten den schärfsten Stachel des Mitgefühls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maishütte lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedrückt, als wollte er sich bei lebendigem Leibe in' den Schooß der Mutter Erde vergraben, um vor einem übergroßen Kummer Zuflucht zu finden. Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> was aufzutragen an den Franz oder die Rosina? Einen Gruß etwa?</p><lb/> <p>Nein, Hochwürden, 's ist immer noch beim Alten zwischen dem Bauern und mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach. Die Andern sind ganz rechtschaffen, möcht' ihnen beim Vater keinen Verdruß machen, indem ich sie grüßen ließ'. Aber wenn Ihr etwa meiner Schwester begegnet — nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall.</p><lb/> <p>Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, bückte er sich nach der Hand des Priesters, küßte sie ehrerbietig und schwang sich an dem langen Hellebardenschaft auf die Mauer zurück, wo er sogleich hinter dichtem Rebenlaub verschwand.</p><lb/> <p>Kopfschüttelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das Gespräch mit dem Jüngling beschäftigte sein menschenfreundliches Gemüth noch eine geraume Zeit. Aber die lange, tägliche Uebung einer ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das Oel der Geduld in eigene und fremde Stürme zu träufeln, hatten den schärfsten Stachel des Mitgefühls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maishütte lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedrückt, als wollte er sich bei lebendigem Leibe in' den Schooß der Mutter Erde vergraben, um vor einem übergroßen Kummer Zuflucht zu finden.</p><lb/> <p>Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
was aufzutragen an den Franz oder die Rosina? Einen Gruß etwa?
Nein, Hochwürden, 's ist immer noch beim Alten zwischen dem Bauern und mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach. Die Andern sind ganz rechtschaffen, möcht' ihnen beim Vater keinen Verdruß machen, indem ich sie grüßen ließ'. Aber wenn Ihr etwa meiner Schwester begegnet — nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall.
Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, bückte er sich nach der Hand des Priesters, küßte sie ehrerbietig und schwang sich an dem langen Hellebardenschaft auf die Mauer zurück, wo er sogleich hinter dichtem Rebenlaub verschwand.
Kopfschüttelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das Gespräch mit dem Jüngling beschäftigte sein menschenfreundliches Gemüth noch eine geraume Zeit. Aber die lange, tägliche Uebung einer ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das Oel der Geduld in eigene und fremde Stürme zu träufeln, hatten den schärfsten Stachel des Mitgefühls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maishütte lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedrückt, als wollte er sich bei lebendigem Leibe in' den Schooß der Mutter Erde vergraben, um vor einem übergroßen Kummer Zuflucht zu finden.
Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben,
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/17>, abgerufen am 16.07.2024. |