Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

unseligste sein muß, wenn Gott sich ihrer Reu' und Leiden nicht in Gnaden erbarmen will.

Als sie das gesprochen hatte, blieb Alles stumm, und Niemand regte sich von der Stelle, außer dem Franz, der verstört zurückwich und jetzt unter der Menge verschwand. Die Anna aber pochte an die Thür des Hauses, die sich alsbald öffnete. Auf der Schwelle stand der Andree wie ein Träumender. Da sah er die Augen der Mutter auf ihn gerichtet und sah, wie sie überflössen, und wie ihr die Kniee wankten, als sie einen Schritt ihm entgegen that, und sie wäre vor ihm niedergefallen, wenn er nicht beide Arme fest um sie geschlungen und sie wieder aufgerichtet hätte, daß sie an seiner Brust sicher ruhen und sich ausweinen konnte. Jetzt erst kam wieder Leben unter die Volkshaufen; aber sie lösten sich geräuschlos auf, unter einander flüsternd, die Weiber drückten ihre Tücher gegen die Augen, die Männer gingen schweigsam hinweg, Viele blieben zurück und starrten in die offene Thür, in der die Mutter mit ihrem Sohn verschwunden war.

Es währte auch nicht lange, so traten sie wieder heraus, die Mutter in der Mitte, der Andree zu ihrer Rechten, die Moidi zu ihrer Linken, alle Drei Hand in Hand. Sie sprachen nicht mit einander, sie blickten mit stillen Gesichtern wie verklärt vor sich hin. Und als die Moidi draußen der Rosel ansichtig wurde, ließ sie auf einen Augenblick die Hand der Mutter los und fiel der Getreuen mit weinenden Augen um den Hals.

unseligste sein muß, wenn Gott sich ihrer Reu' und Leiden nicht in Gnaden erbarmen will.

Als sie das gesprochen hatte, blieb Alles stumm, und Niemand regte sich von der Stelle, außer dem Franz, der verstört zurückwich und jetzt unter der Menge verschwand. Die Anna aber pochte an die Thür des Hauses, die sich alsbald öffnete. Auf der Schwelle stand der Andree wie ein Träumender. Da sah er die Augen der Mutter auf ihn gerichtet und sah, wie sie überflössen, und wie ihr die Kniee wankten, als sie einen Schritt ihm entgegen that, und sie wäre vor ihm niedergefallen, wenn er nicht beide Arme fest um sie geschlungen und sie wieder aufgerichtet hätte, daß sie an seiner Brust sicher ruhen und sich ausweinen konnte. Jetzt erst kam wieder Leben unter die Volkshaufen; aber sie lösten sich geräuschlos auf, unter einander flüsternd, die Weiber drückten ihre Tücher gegen die Augen, die Männer gingen schweigsam hinweg, Viele blieben zurück und starrten in die offene Thür, in der die Mutter mit ihrem Sohn verschwunden war.

Es währte auch nicht lange, so traten sie wieder heraus, die Mutter in der Mitte, der Andree zu ihrer Rechten, die Moidi zu ihrer Linken, alle Drei Hand in Hand. Sie sprachen nicht mit einander, sie blickten mit stillen Gesichtern wie verklärt vor sich hin. Und als die Moidi draußen der Rosel ansichtig wurde, ließ sie auf einen Augenblick die Hand der Mutter los und fiel der Getreuen mit weinenden Augen um den Hals.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0147"/>
unseligste sein muß, wenn Gott sich     ihrer Reu' und Leiden nicht in Gnaden erbarmen will.</p><lb/>
        <p>Als sie das gesprochen hatte, blieb Alles stumm, und Niemand regte sich von der Stelle, außer     dem Franz, der verstört zurückwich und jetzt unter der Menge verschwand. Die Anna aber pochte an     die Thür des Hauses, die sich alsbald öffnete. Auf der Schwelle stand der Andree wie ein     Träumender. Da sah er die Augen der Mutter auf ihn gerichtet und sah, wie sie überflössen, und     wie ihr die Kniee wankten, als sie einen Schritt ihm entgegen that, und sie wäre vor ihm     niedergefallen, wenn er nicht beide Arme fest um sie geschlungen und sie wieder aufgerichtet     hätte, daß sie an seiner Brust sicher ruhen und sich ausweinen konnte. Jetzt erst kam wieder     Leben unter die Volkshaufen; aber sie lösten sich geräuschlos auf, unter einander flüsternd, die     Weiber drückten ihre Tücher gegen die Augen, die Männer gingen schweigsam hinweg, Viele blieben     zurück und starrten in die offene Thür, in der die Mutter mit ihrem Sohn verschwunden war.</p><lb/>
        <p>Es währte auch nicht lange, so traten sie wieder heraus, die Mutter in der Mitte, der Andree     zu ihrer Rechten, die Moidi zu ihrer Linken, alle Drei Hand in Hand. Sie sprachen nicht mit     einander, sie blickten mit stillen Gesichtern wie verklärt vor sich hin. Und als die Moidi     draußen der Rosel ansichtig wurde, ließ sie auf einen Augenblick die Hand der Mutter los und     fiel der Getreuen mit weinenden Augen um den Hals.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] unseligste sein muß, wenn Gott sich ihrer Reu' und Leiden nicht in Gnaden erbarmen will. Als sie das gesprochen hatte, blieb Alles stumm, und Niemand regte sich von der Stelle, außer dem Franz, der verstört zurückwich und jetzt unter der Menge verschwand. Die Anna aber pochte an die Thür des Hauses, die sich alsbald öffnete. Auf der Schwelle stand der Andree wie ein Träumender. Da sah er die Augen der Mutter auf ihn gerichtet und sah, wie sie überflössen, und wie ihr die Kniee wankten, als sie einen Schritt ihm entgegen that, und sie wäre vor ihm niedergefallen, wenn er nicht beide Arme fest um sie geschlungen und sie wieder aufgerichtet hätte, daß sie an seiner Brust sicher ruhen und sich ausweinen konnte. Jetzt erst kam wieder Leben unter die Volkshaufen; aber sie lösten sich geräuschlos auf, unter einander flüsternd, die Weiber drückten ihre Tücher gegen die Augen, die Männer gingen schweigsam hinweg, Viele blieben zurück und starrten in die offene Thür, in der die Mutter mit ihrem Sohn verschwunden war. Es währte auch nicht lange, so traten sie wieder heraus, die Mutter in der Mitte, der Andree zu ihrer Rechten, die Moidi zu ihrer Linken, alle Drei Hand in Hand. Sie sprachen nicht mit einander, sie blickten mit stillen Gesichtern wie verklärt vor sich hin. Und als die Moidi draußen der Rosel ansichtig wurde, ließ sie auf einen Augenblick die Hand der Mutter los und fiel der Getreuen mit weinenden Augen um den Hals.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:27:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:27:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/147
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/147>, abgerufen am 28.11.2024.