Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Kauf geben, so wäre man ihn los und hätte sich nichts gegen ihn vorzuwerfen. Ich will das noch überlegen, 's ist Zeit genug morgen auf der Fahrt, und zu Mittag komm' ich dann heim und kann mit dem Zehnuhrmesser den Handel abkarten, der vermag noch das Meiste über den Tollkopf und wird selber einsehen, daß aller Lärm vermieden werden muß. Handelst du aber meinem Willen zuwider, Schwester, so laß dir's gesagt sein: ich treib's, so weit ich kann, damit ich dir nicht einen Kreuzer herauszuzahlen brauch', und müßt' ich mich unter die Erde Prozessiren. Nun weißt du's, und nun sei gescheidt und rede mir nichts drein und such keine Finten und Umwege. Denn es wäre umsonst; darauf magst du das Sacrament nehmen. Er ging aus dem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten, und sie hörte, wie er noch einmal in den Keller hinabstieg, um sich einen Schlaftrunk zu holen, den er trotz seiner festen und zuversichtlichen Rede wohl brauchen mochte. Die Rosine schlich wieder herein und sah die Tante mit scheuen, verweinten Augen an. Komm, sagte die Alte, wir wollen in meine Kammer gehen; ich habe dir was zu sagen. Sie stand ruhig auf von ihrem Spinnrad, und ihre Hand, die das Licht ergriff, um es über den Flur an ihr Bett zu tragen, zitterte nicht. Während der Bruder ihr seinen harten Willen eröffnet hatte, war auch in ihr ein unerschütterlicher Wille erstarkt. Kauf geben, so wäre man ihn los und hätte sich nichts gegen ihn vorzuwerfen. Ich will das noch überlegen, 's ist Zeit genug morgen auf der Fahrt, und zu Mittag komm' ich dann heim und kann mit dem Zehnuhrmesser den Handel abkarten, der vermag noch das Meiste über den Tollkopf und wird selber einsehen, daß aller Lärm vermieden werden muß. Handelst du aber meinem Willen zuwider, Schwester, so laß dir's gesagt sein: ich treib's, so weit ich kann, damit ich dir nicht einen Kreuzer herauszuzahlen brauch', und müßt' ich mich unter die Erde Prozessiren. Nun weißt du's, und nun sei gescheidt und rede mir nichts drein und such keine Finten und Umwege. Denn es wäre umsonst; darauf magst du das Sacrament nehmen. Er ging aus dem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten, und sie hörte, wie er noch einmal in den Keller hinabstieg, um sich einen Schlaftrunk zu holen, den er trotz seiner festen und zuversichtlichen Rede wohl brauchen mochte. Die Rosine schlich wieder herein und sah die Tante mit scheuen, verweinten Augen an. Komm, sagte die Alte, wir wollen in meine Kammer gehen; ich habe dir was zu sagen. Sie stand ruhig auf von ihrem Spinnrad, und ihre Hand, die das Licht ergriff, um es über den Flur an ihr Bett zu tragen, zitterte nicht. Während der Bruder ihr seinen harten Willen eröffnet hatte, war auch in ihr ein unerschütterlicher Wille erstarkt. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0138"/> Kauf geben, so wäre man ihn los und hätte sich nichts gegen ihn vorzuwerfen. Ich will das noch überlegen, 's ist Zeit genug morgen auf der Fahrt, und zu Mittag komm' ich dann heim und kann mit dem Zehnuhrmesser den Handel abkarten, der vermag noch das Meiste über den Tollkopf und wird selber einsehen, daß aller Lärm vermieden werden muß. Handelst du aber meinem Willen zuwider, Schwester, so laß dir's gesagt sein: ich treib's, so weit ich kann, damit ich dir nicht einen Kreuzer herauszuzahlen brauch', und müßt' ich mich unter die Erde Prozessiren. Nun weißt du's, und nun sei gescheidt und rede mir nichts drein und such keine Finten und Umwege. Denn es wäre umsonst; darauf magst du das Sacrament nehmen.</p><lb/> <p>Er ging aus dem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten, und sie hörte, wie er noch einmal in den Keller hinabstieg, um sich einen Schlaftrunk zu holen, den er trotz seiner festen und zuversichtlichen Rede wohl brauchen mochte. Die Rosine schlich wieder herein und sah die Tante mit scheuen, verweinten Augen an. Komm, sagte die Alte, wir wollen in meine Kammer gehen; ich habe dir was zu sagen.</p><lb/> <p>Sie stand ruhig auf von ihrem Spinnrad, und ihre Hand, die das Licht ergriff, um es über den Flur an ihr Bett zu tragen, zitterte nicht. Während der Bruder ihr seinen harten Willen eröffnet hatte, war auch in ihr ein unerschütterlicher Wille erstarkt.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
Kauf geben, so wäre man ihn los und hätte sich nichts gegen ihn vorzuwerfen. Ich will das noch überlegen, 's ist Zeit genug morgen auf der Fahrt, und zu Mittag komm' ich dann heim und kann mit dem Zehnuhrmesser den Handel abkarten, der vermag noch das Meiste über den Tollkopf und wird selber einsehen, daß aller Lärm vermieden werden muß. Handelst du aber meinem Willen zuwider, Schwester, so laß dir's gesagt sein: ich treib's, so weit ich kann, damit ich dir nicht einen Kreuzer herauszuzahlen brauch', und müßt' ich mich unter die Erde Prozessiren. Nun weißt du's, und nun sei gescheidt und rede mir nichts drein und such keine Finten und Umwege. Denn es wäre umsonst; darauf magst du das Sacrament nehmen.
Er ging aus dem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten, und sie hörte, wie er noch einmal in den Keller hinabstieg, um sich einen Schlaftrunk zu holen, den er trotz seiner festen und zuversichtlichen Rede wohl brauchen mochte. Die Rosine schlich wieder herein und sah die Tante mit scheuen, verweinten Augen an. Komm, sagte die Alte, wir wollen in meine Kammer gehen; ich habe dir was zu sagen.
Sie stand ruhig auf von ihrem Spinnrad, und ihre Hand, die das Licht ergriff, um es über den Flur an ihr Bett zu tragen, zitterte nicht. Während der Bruder ihr seinen harten Willen eröffnet hatte, war auch in ihr ein unerschütterlicher Wille erstarkt.
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/138>, abgerufen am 16.02.2025. |