Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mein bischen Verstand und Religion und Alles, was ich von Ihnen gelernt und in den heiligen Büchern gelesen hatte. Als ich's aber mit Händen greifen konnte, daß ich mich die langen Jahre unnütz abgehärmt hatte und gar nichts Sündhaftes dabei sei, wenn ich das Mädchen lieber als mein Leben hätte, da bin ich plötzlich ganz lustig in mir geworden und hab' mir sogleich vorgesetzt, mein mußt' sie werden, und wenn der Kaiser selbst uns wollt' auseinanderreißen lassen. Denselben Abend aber hab' ich mir noch nichts merken lassen, nur wie ich in meiner Zellen gesessen bin, da hätt' ich singen und jauchzen mögen so laut, daß man's bis nach Meran hinunter hätte hören sollen. Ich hab' aber allerhand Sachen herzurichten gehabt, auch den Brief geschrieben an die Rosine, und so ist die Nacht endlich auch herumgegangen. Und dann, da es noch kaum dämmerig war, stand ich schon unten und holte das arme Ding ab, das keine Ahnung hatte, was werden sollte. Ich that auch zu Anfang ganz vernünftig, bis wir ein Paar Stunden weit weg waren, redete immer von der Wallfahrt, und sie war nicht böse drüber, daß ich sie mit mir nahm. Denn sie hätte gern noch ein Stück weiter in die Welt hineingeschaut. Als wir aber hoch oben zwischen den Bergen waren und sie immer neugieriger fragte, wo's denn hinginge, ließ ich sie ein wenig niedersitzen ins Moos, trat hinter einen Felsen und kam gleich darauf wieder hervor, aber nicht mehr als Kapuziner, sondern in der Jacke und Hosen und mein bischen Verstand und Religion und Alles, was ich von Ihnen gelernt und in den heiligen Büchern gelesen hatte. Als ich's aber mit Händen greifen konnte, daß ich mich die langen Jahre unnütz abgehärmt hatte und gar nichts Sündhaftes dabei sei, wenn ich das Mädchen lieber als mein Leben hätte, da bin ich plötzlich ganz lustig in mir geworden und hab' mir sogleich vorgesetzt, mein mußt' sie werden, und wenn der Kaiser selbst uns wollt' auseinanderreißen lassen. Denselben Abend aber hab' ich mir noch nichts merken lassen, nur wie ich in meiner Zellen gesessen bin, da hätt' ich singen und jauchzen mögen so laut, daß man's bis nach Meran hinunter hätte hören sollen. Ich hab' aber allerhand Sachen herzurichten gehabt, auch den Brief geschrieben an die Rosine, und so ist die Nacht endlich auch herumgegangen. Und dann, da es noch kaum dämmerig war, stand ich schon unten und holte das arme Ding ab, das keine Ahnung hatte, was werden sollte. Ich that auch zu Anfang ganz vernünftig, bis wir ein Paar Stunden weit weg waren, redete immer von der Wallfahrt, und sie war nicht böse drüber, daß ich sie mit mir nahm. Denn sie hätte gern noch ein Stück weiter in die Welt hineingeschaut. Als wir aber hoch oben zwischen den Bergen waren und sie immer neugieriger fragte, wo's denn hinginge, ließ ich sie ein wenig niedersitzen ins Moos, trat hinter einen Felsen und kam gleich darauf wieder hervor, aber nicht mehr als Kapuziner, sondern in der Jacke und Hosen und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0110"/> mein bischen Verstand und Religion und Alles, was ich von Ihnen gelernt und in den heiligen Büchern gelesen hatte. Als ich's aber mit Händen greifen konnte, daß ich mich die langen Jahre unnütz abgehärmt hatte und gar nichts Sündhaftes dabei sei, wenn ich das Mädchen lieber als mein Leben hätte, da bin ich plötzlich ganz lustig in mir geworden und hab' mir sogleich vorgesetzt, mein mußt' sie werden, und wenn der Kaiser selbst uns wollt' auseinanderreißen lassen. Denselben Abend aber hab' ich mir noch nichts merken lassen, nur wie ich in meiner Zellen gesessen bin, da hätt' ich singen und jauchzen mögen so laut, daß man's bis nach Meran hinunter hätte hören sollen. Ich hab' aber allerhand Sachen herzurichten gehabt, auch den Brief geschrieben an die Rosine, und so ist die Nacht endlich auch herumgegangen. Und dann, da es noch kaum dämmerig war, stand ich schon unten und holte das arme Ding ab, das keine Ahnung hatte, was werden sollte. Ich that auch zu Anfang ganz vernünftig, bis wir ein Paar Stunden weit weg waren, redete immer von der Wallfahrt, und sie war nicht böse drüber, daß ich sie mit mir nahm. Denn sie hätte gern noch ein Stück weiter in die Welt hineingeschaut. Als wir aber hoch oben zwischen den Bergen waren und sie immer neugieriger fragte, wo's denn hinginge, ließ ich sie ein wenig niedersitzen ins Moos, trat hinter einen Felsen und kam gleich darauf wieder hervor, aber nicht mehr als Kapuziner, sondern in der Jacke und Hosen und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
mein bischen Verstand und Religion und Alles, was ich von Ihnen gelernt und in den heiligen Büchern gelesen hatte. Als ich's aber mit Händen greifen konnte, daß ich mich die langen Jahre unnütz abgehärmt hatte und gar nichts Sündhaftes dabei sei, wenn ich das Mädchen lieber als mein Leben hätte, da bin ich plötzlich ganz lustig in mir geworden und hab' mir sogleich vorgesetzt, mein mußt' sie werden, und wenn der Kaiser selbst uns wollt' auseinanderreißen lassen. Denselben Abend aber hab' ich mir noch nichts merken lassen, nur wie ich in meiner Zellen gesessen bin, da hätt' ich singen und jauchzen mögen so laut, daß man's bis nach Meran hinunter hätte hören sollen. Ich hab' aber allerhand Sachen herzurichten gehabt, auch den Brief geschrieben an die Rosine, und so ist die Nacht endlich auch herumgegangen. Und dann, da es noch kaum dämmerig war, stand ich schon unten und holte das arme Ding ab, das keine Ahnung hatte, was werden sollte. Ich that auch zu Anfang ganz vernünftig, bis wir ein Paar Stunden weit weg waren, redete immer von der Wallfahrt, und sie war nicht böse drüber, daß ich sie mit mir nahm. Denn sie hätte gern noch ein Stück weiter in die Welt hineingeschaut. Als wir aber hoch oben zwischen den Bergen waren und sie immer neugieriger fragte, wo's denn hinginge, ließ ich sie ein wenig niedersitzen ins Moos, trat hinter einen Felsen und kam gleich darauf wieder hervor, aber nicht mehr als Kapuziner, sondern in der Jacke und Hosen und
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Zitationshilfe: | Heyse, Paul: Der Weinhüter von Meran. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 173–319. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_weinhueter_1910/110>, abgerufen am 16.07.2024. |