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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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"Ein Mädchen, Clemens?"

"Ja, ein Mädchen."

"Und du liebst dieses Mädchen?"

"Ich liebe sie," sagte halblaut der junge Mann.

"Ich hab' es mir gedacht," fuhr der Alte auf.
"Die Stadt hat dich verdorben; du bist der Welt¬
kinder eines geworden, die den Dirnen nachgehen
und sich raufen um sie und sie zu ihren Götzen er¬
wählen. Ich aber sage dir, so lang ich lebe, will ich
arbeiten, dich zum Herrn zurückzuziehen, und will
deine Götzen zertrümmern. Hat Gott Wunder an
dir gethan, damit du ihn verläugnest? So wäre es
besser, du säßest noch in der Nacht und hättest die
Thore ewig verschlossen, durch die der böse Geist mit
seinen Verlockungen in dein Herz gedrungen ist."

Mühsam bezwang der junge Mann seine Auf¬
wallung. "Was gibt dir ein Recht, Vater," rief er
endlich, "mir unedle Neigungen zuzutrauen? Weil ich
thun muß, was nöthig ist, um in der Welt den
Uebermuth des Gemeinen niederzuhalten, bin ich dar¬
um niedriger? Es gibt verschiedene Wege, gegen den
unsaubern Geist zu kämpfen. Deiner ist friedlich,
denn du hast es mit der Masse zu thun. Ich stehe
dem Einzelnen gegenüber und kenne meinen Weg."

"Du wirst ihn nicht wandeln," rief der Alte ei¬
fernd aus. "Willst du Gottes Gebote mit Füßen
treten? Der ist mein Sohn nicht mehr, der die Hand

„Ein Mädchen, Clemens?“

„Ja, ein Mädchen.“

„Und du liebſt dieſes Mädchen?“

„Ich liebe ſie,“ ſagte halblaut der junge Mann.

„Ich hab' es mir gedacht,“ fuhr der Alte auf.
„Die Stadt hat dich verdorben; du biſt der Welt¬
kinder eines geworden, die den Dirnen nachgehen
und ſich raufen um ſie und ſie zu ihren Götzen er¬
wählen. Ich aber ſage dir, ſo lang ich lebe, will ich
arbeiten, dich zum Herrn zurückzuziehen, und will
deine Götzen zertrümmern. Hat Gott Wunder an
dir gethan, damit du ihn verläugneſt? So wäre es
beſſer, du ſäßeſt noch in der Nacht und hätteſt die
Thore ewig verſchloſſen, durch die der böſe Geiſt mit
ſeinen Verlockungen in dein Herz gedrungen iſt.“

Mühſam bezwang der junge Mann ſeine Auf¬
wallung. „Was gibt dir ein Recht, Vater,“ rief er
endlich, „mir unedle Neigungen zuzutrauen? Weil ich
thun muß, was nöthig iſt, um in der Welt den
Uebermuth des Gemeinen niederzuhalten, bin ich dar¬
um niedriger? Es gibt verſchiedene Wege, gegen den
unſaubern Geiſt zu kämpfen. Deiner iſt friedlich,
denn du haſt es mit der Maſſe zu thun. Ich ſtehe
dem Einzelnen gegenüber und kenne meinen Weg.“

„Du wirſt ihn nicht wandeln,“ rief der Alte ei¬
fernd aus. „Willſt du Gottes Gebote mit Füßen
treten? Der iſt mein Sohn nicht mehr, der die Hand

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[62/0074] „Ein Mädchen, Clemens?“ „Ja, ein Mädchen.“ „Und du liebſt dieſes Mädchen?“ „Ich liebe ſie,“ ſagte halblaut der junge Mann. „Ich hab' es mir gedacht,“ fuhr der Alte auf. „Die Stadt hat dich verdorben; du biſt der Welt¬ kinder eines geworden, die den Dirnen nachgehen und ſich raufen um ſie und ſie zu ihren Götzen er¬ wählen. Ich aber ſage dir, ſo lang ich lebe, will ich arbeiten, dich zum Herrn zurückzuziehen, und will deine Götzen zertrümmern. Hat Gott Wunder an dir gethan, damit du ihn verläugneſt? So wäre es beſſer, du ſäßeſt noch in der Nacht und hätteſt die Thore ewig verſchloſſen, durch die der böſe Geiſt mit ſeinen Verlockungen in dein Herz gedrungen iſt.“ Mühſam bezwang der junge Mann ſeine Auf¬ wallung. „Was gibt dir ein Recht, Vater,“ rief er endlich, „mir unedle Neigungen zuzutrauen? Weil ich thun muß, was nöthig iſt, um in der Welt den Uebermuth des Gemeinen niederzuhalten, bin ich dar¬ um niedriger? Es gibt verſchiedene Wege, gegen den unſaubern Geiſt zu kämpfen. Deiner iſt friedlich, denn du haſt es mit der Maſſe zu thun. Ich ſtehe dem Einzelnen gegenüber und kenne meinen Weg.“ „Du wirſt ihn nicht wandeln,“ rief der Alte ei¬ fernd aus. „Willſt du Gottes Gebote mit Füßen treten? Der iſt mein Sohn nicht mehr, der die Hand

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/74>, abgerufen am 23.11.2024.