Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

ins Colleg zum Thor hinaus, und bin drauf los ge¬
laufen als entliefe ich einer Sünde, Tagereisen, wie
ich sie bisher noch nicht gemacht habe, so gut ich von
jeher zu Fuße war. Wo ist der Vater? -- wo ist
Marlene?"

"Hörst du ihn nicht?" sagte die Mutter. "Der
Vater ist oben im Predigtstübchen." -- Sie hörten über
sich den starken Schritt des Alten auf und ab. "Es
ist Alles wie es war," fuhr die Mutter fort. "Das
ist sein Sonnabendsgang die zwanzig Jahr, seit ich ihn
kenne. Und Marlene ist im Feld mit unsern Leuten.
Ich habe sie weggeschickt, denn sie läßt mir keine Ruhe.
Wenn sie im Haus ist, hätte sie am liebsten, ich säße
da im Winkel, die Hände im Schoß; sie thäte am
liebsten Alles allein. Nun haben wir neue Knechte,
und es ist mir lieb, wenn sie die Aufsicht führt, bis
sie sich eingewöhnt haben. Wie wird sie staunen, dich
hier zu finden! Aber komm, ich bringe dich zum
Vater, nur daß er dich sieht; es ist auch bald Mittag.
Komm, er wird nicht ungehalten sein, daß du ihn
störst."

Sie führte den Sohn, leise voranhuschend, aber
immer seine Hand in der ihren, das Treppchen hin¬
auf. Leise öffnete sie die Thür, winkte Clemens,
und selber zurücktretend, trieb sie ihn einzutreten.
"Da ist er!" rief sie, "da hast du ihn." Der Alte fuhr
auf wie aus tiefen Gedanken. "Wen?" fragte er halb

ins Colleg zum Thor hinaus, und bin drauf los ge¬
laufen als entliefe ich einer Sünde, Tagereiſen, wie
ich ſie bisher noch nicht gemacht habe, ſo gut ich von
jeher zu Fuße war. Wo iſt der Vater? — wo iſt
Marlene?“

„Hörſt du ihn nicht?“ ſagte die Mutter. „Der
Vater iſt oben im Predigtſtübchen.“ — Sie hörten über
ſich den ſtarken Schritt des Alten auf und ab. „Es
iſt Alles wie es war,“ fuhr die Mutter fort. „Das
iſt ſein Sonnabendsgang die zwanzig Jahr, ſeit ich ihn
kenne. Und Marlene iſt im Feld mit unſern Leuten.
Ich habe ſie weggeſchickt, denn ſie läßt mir keine Ruhe.
Wenn ſie im Haus iſt, hätte ſie am liebſten, ich ſäße
da im Winkel, die Hände im Schoß; ſie thäte am
liebſten Alles allein. Nun haben wir neue Knechte,
und es iſt mir lieb, wenn ſie die Aufſicht führt, bis
ſie ſich eingewöhnt haben. Wie wird ſie ſtaunen, dich
hier zu finden! Aber komm, ich bringe dich zum
Vater, nur daß er dich ſieht; es iſt auch bald Mittag.
Komm, er wird nicht ungehalten ſein, daß du ihn
ſtörſt.“

Sie führte den Sohn, leiſe voranhuſchend, aber
immer ſeine Hand in der ihren, das Treppchen hin¬
auf. Leiſe öffnete ſie die Thür, winkte Clemens,
und ſelber zurücktretend, trieb ſie ihn einzutreten.
„Da iſt er!“ rief ſie, „da haſt du ihn.“ Der Alte fuhr
auf wie aus tiefen Gedanken. „Wen?“ fragte er halb

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="42"/>
ins Colleg zum Thor hinaus, und bin drauf los ge¬<lb/>
laufen als entliefe ich einer Sünde, Tagerei&#x017F;en, wie<lb/>
ich &#x017F;ie bisher noch nicht gemacht habe, &#x017F;o gut ich von<lb/>
jeher zu Fuße war. Wo i&#x017F;t der Vater? &#x2014; wo i&#x017F;t<lb/>
Marlene?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Hör&#x017F;t du ihn nicht?&#x201C; &#x017F;agte die Mutter. &#x201E;Der<lb/>
Vater i&#x017F;t oben im Predigt&#x017F;tübchen.&#x201C; &#x2014; Sie hörten über<lb/>
&#x017F;ich den &#x017F;tarken Schritt des Alten auf und ab. &#x201E;Es<lb/>
i&#x017F;t Alles wie es war,&#x201C; fuhr die Mutter fort. &#x201E;Das<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ein Sonnabendsgang die zwanzig Jahr, &#x017F;eit ich ihn<lb/>
kenne. Und Marlene i&#x017F;t im Feld mit un&#x017F;ern Leuten.<lb/>
Ich habe &#x017F;ie wegge&#x017F;chickt, denn &#x017F;ie läßt mir keine Ruhe.<lb/>
Wenn &#x017F;ie im Haus i&#x017F;t, hätte &#x017F;ie am lieb&#x017F;ten, ich &#x017F;äße<lb/>
da im Winkel, die Hände im Schoß; &#x017F;ie thäte am<lb/>
lieb&#x017F;ten Alles allein. Nun haben wir neue Knechte,<lb/>
und es i&#x017F;t mir lieb, wenn &#x017F;ie die Auf&#x017F;icht führt, bis<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich eingewöhnt haben. Wie wird &#x017F;ie &#x017F;taunen, dich<lb/>
hier zu finden! Aber komm, ich bringe dich zum<lb/>
Vater, nur daß er dich &#x017F;ieht; es i&#x017F;t auch bald Mittag.<lb/>
Komm, er wird nicht ungehalten &#x017F;ein, daß du ihn<lb/>
&#x017F;tör&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sie führte den Sohn, lei&#x017F;e voranhu&#x017F;chend, aber<lb/>
immer &#x017F;eine Hand in der ihren, das Treppchen hin¬<lb/>
auf. Lei&#x017F;e öffnete &#x017F;ie die Thür, winkte Clemens,<lb/>
und &#x017F;elber zurücktretend, trieb &#x017F;ie ihn einzutreten.<lb/>
&#x201E;Da i&#x017F;t er!&#x201C; rief &#x017F;ie, &#x201E;da ha&#x017F;t du ihn.&#x201C; Der Alte fuhr<lb/>
auf wie aus tiefen Gedanken. &#x201E;Wen?&#x201C; fragte er halb<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0054] ins Colleg zum Thor hinaus, und bin drauf los ge¬ laufen als entliefe ich einer Sünde, Tagereiſen, wie ich ſie bisher noch nicht gemacht habe, ſo gut ich von jeher zu Fuße war. Wo iſt der Vater? — wo iſt Marlene?“ „Hörſt du ihn nicht?“ ſagte die Mutter. „Der Vater iſt oben im Predigtſtübchen.“ — Sie hörten über ſich den ſtarken Schritt des Alten auf und ab. „Es iſt Alles wie es war,“ fuhr die Mutter fort. „Das iſt ſein Sonnabendsgang die zwanzig Jahr, ſeit ich ihn kenne. Und Marlene iſt im Feld mit unſern Leuten. Ich habe ſie weggeſchickt, denn ſie läßt mir keine Ruhe. Wenn ſie im Haus iſt, hätte ſie am liebſten, ich ſäße da im Winkel, die Hände im Schoß; ſie thäte am liebſten Alles allein. Nun haben wir neue Knechte, und es iſt mir lieb, wenn ſie die Aufſicht führt, bis ſie ſich eingewöhnt haben. Wie wird ſie ſtaunen, dich hier zu finden! Aber komm, ich bringe dich zum Vater, nur daß er dich ſieht; es iſt auch bald Mittag. Komm, er wird nicht ungehalten ſein, daß du ihn ſtörſt.“ Sie führte den Sohn, leiſe voranhuſchend, aber immer ſeine Hand in der ihren, das Treppchen hin¬ auf. Leiſe öffnete ſie die Thür, winkte Clemens, und ſelber zurücktretend, trieb ſie ihn einzutreten. „Da iſt er!“ rief ſie, „da haſt du ihn.“ Der Alte fuhr auf wie aus tiefen Gedanken. „Wen?“ fragte er halb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/54
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/54>, abgerufen am 23.12.2024.