Fleck, ein verklärtes Lächeln um die Lippen, die hellen Augensterne hierhin und dorthin bewegend. Er hatte vergessen, daß Marlene vor ihm stehen sollte und wußte ja noch nicht, was menschliche Gestalt sei. Sie that auch nichts, ihn an sich zu erinnern. Ohne Re¬ gung stand sie, nur leicht mit den Wimpern zuckend, die klare, braune, todte Augen beschatteten. Noch hatte man kein Arg. Die Wunder, dachte man, die sie zuerst fremd ansehen, versteinern sie. Aber als die Freude des Knaben laut ausbrach, man ihm sagte: das ist Marlene! und er in der alten Gewohn¬ heit mit der Hand ihre Wangen suchte und sagte: "du hast ein helles Gesicht" -- da stürzten ihre Thränen hervor, sie schüttelte heftig den Kopf und sagte kaum vernehmlich: "Es ist ja dunkel hier! Es ist ja Alles wie es war!"
Wer schildert das Entsetzen der nächsten Stunde! Der Arzt, tief erschüttert, führte sie auf einen Stuhl zum Fenster und untersuchte die Augen. Das graue Häutchen des Staars, das er entfernt hatte, war nicht wieder erneut. Nichts unterschied die Pupille von gesunden, als, die leblose, traurige Starrheit. "Der Nerv ist erloschen," sagte er. "Eine heftige Erschütterung durch einen plötzlichen, grellen Schein muß ihn getödtet haben." -- Die Küstersfrau ver¬ ließen ihre Sinne; sie fiel ihrem Manne todtenblaß in den Arm. Clemens begriff noch kaum, was vor¬
Fleck, ein verklärtes Lächeln um die Lippen, die hellen Augenſterne hierhin und dorthin bewegend. Er hatte vergeſſen, daß Marlene vor ihm ſtehen ſollte und wußte ja noch nicht, was menſchliche Geſtalt ſei. Sie that auch nichts, ihn an ſich zu erinnern. Ohne Re¬ gung ſtand ſie, nur leicht mit den Wimpern zuckend, die klare, braune, todte Augen beſchatteten. Noch hatte man kein Arg. Die Wunder, dachte man, die ſie zuerſt fremd anſehen, verſteinern ſie. Aber als die Freude des Knaben laut ausbrach, man ihm ſagte: das iſt Marlene! und er in der alten Gewohn¬ heit mit der Hand ihre Wangen ſuchte und ſagte: „du haſt ein helles Geſicht“ — da ſtürzten ihre Thränen hervor, ſie ſchüttelte heftig den Kopf und ſagte kaum vernehmlich: „Es iſt ja dunkel hier! Es iſt ja Alles wie es war!“
Wer ſchildert das Entſetzen der nächſten Stunde! Der Arzt, tief erſchüttert, führte ſie auf einen Stuhl zum Fenſter und unterſuchte die Augen. Das graue Häutchen des Staars, das er entfernt hatte, war nicht wieder erneut. Nichts unterſchied die Pupille von geſunden, als, die lebloſe, traurige Starrheit. „Der Nerv iſt erloſchen,“ ſagte er. „Eine heftige Erſchütterung durch einen plötzlichen, grellen Schein muß ihn getödtet haben.“ — Die Küſtersfrau ver¬ ließen ihre Sinne; ſie fiel ihrem Manne todtenblaß in den Arm. Clemens begriff noch kaum, was vor¬
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Fleck, ein verklärtes Lächeln um die Lippen, die hellen
Augenſterne hierhin und dorthin bewegend. Er hatte
vergeſſen, daß Marlene vor ihm ſtehen ſollte und
wußte ja noch nicht, was menſchliche Geſtalt ſei. Sie
that auch nichts, ihn an ſich zu erinnern. Ohne Re¬
gung ſtand ſie, nur leicht mit den Wimpern zuckend,
die klare, braune, todte Augen beſchatteten. Noch
hatte man kein Arg. Die Wunder, dachte man, die
ſie zuerſt fremd anſehen, verſteinern ſie. Aber als
die Freude des Knaben laut ausbrach, man ihm
ſagte: das iſt Marlene! und er in der alten Gewohn¬
heit mit der Hand ihre Wangen ſuchte und ſagte:
„du haſt ein helles Geſicht“ — da ſtürzten ihre
Thränen hervor, ſie ſchüttelte heftig den Kopf und
ſagte kaum vernehmlich: „Es iſt ja dunkel hier! Es
iſt ja Alles wie es war!“
Wer ſchildert das Entſetzen der nächſten Stunde!
Der Arzt, tief erſchüttert, führte ſie auf einen Stuhl
zum Fenſter und unterſuchte die Augen. Das graue
Häutchen des Staars, das er entfernt hatte, war
nicht wieder erneut. Nichts unterſchied die Pupille
von geſunden, als, die lebloſe, traurige Starrheit.
„Der Nerv iſt erloſchen,“ ſagte er. „Eine heftige
Erſchütterung durch einen plötzlichen, grellen Schein
muß ihn getödtet haben.“ — Die Küſtersfrau ver¬
ließen ihre Sinne; ſie fiel ihrem Manne todtenblaß
in den Arm. Clemens begriff noch kaum, was vor¬
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/32>, abgerufen am 25.07.2024.
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