Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.In diesem Ton plauderte er unaufhörlich und ach¬ Nun, wie sie wieder im Bett lag und die Mutter Lange grübelte sie in Kummer und Neugier ver¬ In dieſem Ton plauderte er unaufhörlich und ach¬ Nun, wie ſie wieder im Bett lag und die Mutter Lange grübelte ſie in Kummer und Neugier ver¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0028" n="16"/> <p>In dieſem Ton plauderte er unaufhörlich und ach¬<lb/> tete nicht darauf, daß ſie ſtumm neben ihm ging.<lb/> Manche von ſeinen Worten waren ihr tief zu Herzen<lb/> gegangen. Sie war nie darauf verfallen, daß ſie ſich<lb/> ſelbſt nun auch ſehen würde, und wußte auch kaum,<lb/> wie ſie ſich das zu denken habe. Von Spiegeln hatte<lb/> ſie gehört, ohne es zu verſtehen. Sie dachte ſich<lb/> jetzt, ſobald ein Sehender die Augen aufthäte, er¬<lb/> ſchiene ihm ſein eigen Angeſicht.</p><lb/> <p>Nun, wie ſie wieder im Bett lag und die Mutter<lb/> dachte, ſie ſchliefe, ging ihr das Wort durch den Sinn:<lb/> Es wäre garſtig, wenn unſere Geſichter nicht hell<lb/> wären. Sie hatte von Schön und Häßlich gehört,<lb/> und daß häßliche Menſchen bemitleidet und oft min¬<lb/> der geliebt würden. Wenn ich nun häßlich bin, ſagte<lb/> ſie ſich, und er will nichts mehr von mir wiſſen!<lb/> Sonſt war es ihm gleich. Er ſpielte gern mit mei¬<lb/> nen Haaren und nannte ſie Seidenfädchen. Das<lb/> wird nun aufhören, wenn er mich garſtig findet.<lb/> Und <hi rendition="#g">er</hi>, wenn er's <hi rendition="#g">auch</hi> iſt, ich will's ihn gewiß<lb/> nicht merken laſſen, will ihn doch lieb haben. Aber<lb/> nein, ich weiß wohl, er kann nicht häßlich ſein, <hi rendition="#g">er</hi><lb/> nicht!</p><lb/> <p>Lange grübelte ſie in Kummer und Neugier ver¬<lb/> ſunken. Es war ſchwül. Im Garten die Nachti¬<lb/> gallen riefen ängſtlich herein und ein zuckender Weſt¬<lb/> wind ſtieß gegen die Scheiben. Sie war ganz allein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0028]
In dieſem Ton plauderte er unaufhörlich und ach¬
tete nicht darauf, daß ſie ſtumm neben ihm ging.
Manche von ſeinen Worten waren ihr tief zu Herzen
gegangen. Sie war nie darauf verfallen, daß ſie ſich
ſelbſt nun auch ſehen würde, und wußte auch kaum,
wie ſie ſich das zu denken habe. Von Spiegeln hatte
ſie gehört, ohne es zu verſtehen. Sie dachte ſich
jetzt, ſobald ein Sehender die Augen aufthäte, er¬
ſchiene ihm ſein eigen Angeſicht.
Nun, wie ſie wieder im Bett lag und die Mutter
dachte, ſie ſchliefe, ging ihr das Wort durch den Sinn:
Es wäre garſtig, wenn unſere Geſichter nicht hell
wären. Sie hatte von Schön und Häßlich gehört,
und daß häßliche Menſchen bemitleidet und oft min¬
der geliebt würden. Wenn ich nun häßlich bin, ſagte
ſie ſich, und er will nichts mehr von mir wiſſen!
Sonſt war es ihm gleich. Er ſpielte gern mit mei¬
nen Haaren und nannte ſie Seidenfädchen. Das
wird nun aufhören, wenn er mich garſtig findet.
Und er, wenn er's auch iſt, ich will's ihn gewiß
nicht merken laſſen, will ihn doch lieb haben. Aber
nein, ich weiß wohl, er kann nicht häßlich ſein, er
nicht!
Lange grübelte ſie in Kummer und Neugier ver¬
ſunken. Es war ſchwül. Im Garten die Nachti¬
gallen riefen ängſtlich herein und ein zuckender Weſt¬
wind ſtieß gegen die Scheiben. Sie war ganz allein
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