sind noch einige hundert Schritt und keine unmit¬ telbare Verbindung am Wasser hin. Er wandte sich aber rechts die breitere Straße hinauf, als ihm ein lautes Gezänk von den obersten Stufen der Wasser¬ treppe ans Ohr kam. Ein Ton klang dazwischen, der ihn plötzlich im Gehen hemmte. Er näherte sich dem Menschenhaufen, dessen einzelne Gestalten sich ihm nur langsam bei einer schlechten Straßenlaterne entwirrten. Es handelte sich um ein Mädchen, wie es schien, das ein Schiffer beim Arm hielt und hinab¬ zuziehen bemüht war. Ein Anderer suchte Beide zu trennen. Laßt sie los, Pietro! rief er. Laßt sie gehn! Seit wann ladet Ihr Weiber, Ihr Seelenverkäufer, der Ihr seid? Seht, sie weint, armes Ding! sie will nicht in Euer Loch von Kajüte zurück; sie wird ihre Gründe haben! --
Hol's der Henker, schrie der Andere und riß an dem Mädchen herum, Gründe genug wird sie haben. Aber der sie mir brachte und das Geld dran wandte und sagte: "Schaff sie mir nach Ostia und gieb sie dort in sichre Hände, daß sie nicht wieder zurückkann," der wird auch seine Gründe haben, und Gründe, die er mit Quattrinen beweis't. Die Dirne! Sie wird nicht gut gethan haben. Wäre sie die liebe Unschuld, die sie jetzt spielen will, warum konnte sie nicht dar¬ auf pochen, wie der Mann sie brachte? Aber was denkt Ihr? Da war sie stille stille; nur geweint und
14
ſind noch einige hundert Schritt und keine unmit¬ telbare Verbindung am Waſſer hin. Er wandte ſich aber rechts die breitere Straße hinauf, als ihm ein lautes Gezänk von den oberſten Stufen der Waſſer¬ treppe ans Ohr kam. Ein Ton klang dazwiſchen, der ihn plötzlich im Gehen hemmte. Er näherte ſich dem Menſchenhaufen, deſſen einzelne Geſtalten ſich ihm nur langſam bei einer ſchlechten Straßenlaterne entwirrten. Es handelte ſich um ein Mädchen, wie es ſchien, das ein Schiffer beim Arm hielt und hinab¬ zuziehen bemüht war. Ein Anderer ſuchte Beide zu trennen. Laßt ſie los, Pietro! rief er. Laßt ſie gehn! Seit wann ladet Ihr Weiber, Ihr Seelenverkäufer, der Ihr ſeid? Seht, ſie weint, armes Ding! ſie will nicht in Euer Loch von Kajüte zurück; ſie wird ihre Gründe haben! —
Hol's der Henker, ſchrie der Andere und riß an dem Mädchen herum, Gründe genug wird ſie haben. Aber der ſie mir brachte und das Geld dran wandte und ſagte: „Schaff ſie mir nach Oſtia und gieb ſie dort in ſichre Hände, daß ſie nicht wieder zurückkann,“ der wird auch ſeine Gründe haben, und Gründe, die er mit Quattrinen beweiſ't. Die Dirne! Sie wird nicht gut gethan haben. Wäre ſie die liebe Unſchuld, die ſie jetzt ſpielen will, warum konnte ſie nicht dar¬ auf pochen, wie der Mann ſie brachte? Aber was denkt Ihr? Da war ſie ſtille ſtille; nur geweint und
14
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0221"n="209"/>ſind noch einige hundert Schritt und keine unmit¬<lb/>
telbare Verbindung am Waſſer hin. Er wandte ſich<lb/>
aber rechts die breitere Straße hinauf, als ihm ein<lb/>
lautes Gezänk von den oberſten Stufen der Waſſer¬<lb/>
treppe ans Ohr kam. Ein Ton klang dazwiſchen,<lb/>
der ihn plötzlich im Gehen hemmte. Er näherte ſich<lb/>
dem Menſchenhaufen, deſſen einzelne Geſtalten ſich<lb/>
ihm nur langſam bei einer ſchlechten Straßenlaterne<lb/>
entwirrten. Es handelte ſich um ein Mädchen, wie<lb/>
es ſchien, das ein Schiffer beim Arm hielt und hinab¬<lb/>
zuziehen bemüht war. Ein Anderer ſuchte Beide zu<lb/>
trennen. Laßt ſie los, Pietro! rief er. Laßt ſie gehn!<lb/>
Seit wann ladet Ihr Weiber, Ihr Seelenverkäufer,<lb/>
der Ihr ſeid? Seht, ſie weint, armes Ding! ſie will<lb/>
nicht in Euer Loch von Kajüte zurück; ſie wird ihre<lb/>
Gründe haben! —</p><lb/><p>Hol's der Henker, ſchrie der Andere und riß an<lb/>
dem Mädchen herum, Gründe genug wird ſie haben.<lb/>
Aber der ſie mir brachte und das Geld dran wandte<lb/>
und ſagte: „Schaff ſie mir nach Oſtia und gieb ſie<lb/>
dort in ſichre Hände, daß ſie nicht wieder zurückkann,“<lb/>
der wird auch ſeine Gründe haben, und Gründe, die<lb/>
er mit Quattrinen beweiſ't. Die Dirne! Sie wird<lb/>
nicht gut gethan haben. Wäre ſie die liebe Unſchuld,<lb/>
die ſie jetzt ſpielen will, warum konnte ſie nicht dar¬<lb/>
auf pochen, wie der Mann ſie brachte? Aber was<lb/>
denkt Ihr? Da war ſie ſtille ſtille; nur geweint und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">14<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[209/0221]
ſind noch einige hundert Schritt und keine unmit¬
telbare Verbindung am Waſſer hin. Er wandte ſich
aber rechts die breitere Straße hinauf, als ihm ein
lautes Gezänk von den oberſten Stufen der Waſſer¬
treppe ans Ohr kam. Ein Ton klang dazwiſchen,
der ihn plötzlich im Gehen hemmte. Er näherte ſich
dem Menſchenhaufen, deſſen einzelne Geſtalten ſich
ihm nur langſam bei einer ſchlechten Straßenlaterne
entwirrten. Es handelte ſich um ein Mädchen, wie
es ſchien, das ein Schiffer beim Arm hielt und hinab¬
zuziehen bemüht war. Ein Anderer ſuchte Beide zu
trennen. Laßt ſie los, Pietro! rief er. Laßt ſie gehn!
Seit wann ladet Ihr Weiber, Ihr Seelenverkäufer,
der Ihr ſeid? Seht, ſie weint, armes Ding! ſie will
nicht in Euer Loch von Kajüte zurück; ſie wird ihre
Gründe haben! —
Hol's der Henker, ſchrie der Andere und riß an
dem Mädchen herum, Gründe genug wird ſie haben.
Aber der ſie mir brachte und das Geld dran wandte
und ſagte: „Schaff ſie mir nach Oſtia und gieb ſie
dort in ſichre Hände, daß ſie nicht wieder zurückkann,“
der wird auch ſeine Gründe haben, und Gründe, die
er mit Quattrinen beweiſ't. Die Dirne! Sie wird
nicht gut gethan haben. Wäre ſie die liebe Unſchuld,
die ſie jetzt ſpielen will, warum konnte ſie nicht dar¬
auf pochen, wie der Mann ſie brachte? Aber was
denkt Ihr? Da war ſie ſtille ſtille; nur geweint und
14
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/221>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.