Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

ausdrücken, wie mich das Bild ergriff; Edward ganz
und gar, lebend und verklärt zugleich, und wunder¬
bar! fast durch Offenbarung die Art wiedergegeben,
wie er sich bewegte, jene eigenthümlich innige Ge¬
wohnheit den Kopf vorzuneigen, von der ich meinem
Freunde nie gesprochen.

Es mag Alles unbestritten sein, was Sie sagen,
lieber Theodor, sagte die Mutter nach einigem Be¬
sinnen. Und doch verberge ich nicht, daß mir die
Nebenfiguren, wie Sie sie beschreiben, durchaus wi¬
derstreben, daß ich mich nicht werde entschließen kön¬
nen, an dem Grabe meines Sohnes zu beten, wenn
der Stein diese fremden fabelhaften Gestalten zeigt,
die mich schrecken, statt mich zu erheben.

Es sind Zeichen, Mutter, Zeichen für den liebe¬
vollsten Sinn, die Ihnen nicht fremd sind, sobald
Ihnen der Sinn nah getreten. Und würden Sie
nicht ergriffen werden, wenn ein italiänischer Poet
Strophen auf Edward in seiner Sprache gedichtet
hätte, obwohl sie nicht Ihre Muttersprache ist?

Wohl, aber dann wär' es wirklich nur die Form,
die mich fremd berührte. Hier ist der Sinn von Vor¬
stellungen, die meinem Heiligsten widerstreiten, so ge¬
tränkt, daß ich mich abwende und nichts damit ge¬
mein haben kann.

Sie sprechen es hart aus.

Es wundert mich, daß Sie hart finden, lieber

ausdrücken, wie mich das Bild ergriff; Edward ganz
und gar, lebend und verklärt zugleich, und wunder¬
bar! faſt durch Offenbarung die Art wiedergegeben,
wie er ſich bewegte, jene eigenthümlich innige Ge¬
wohnheit den Kopf vorzuneigen, von der ich meinem
Freunde nie geſprochen.

Es mag Alles unbeſtritten ſein, was Sie ſagen,
lieber Theodor, ſagte die Mutter nach einigem Be¬
ſinnen. Und doch verberge ich nicht, daß mir die
Nebenfiguren, wie Sie ſie beſchreiben, durchaus wi¬
derſtreben, daß ich mich nicht werde entſchließen kön¬
nen, an dem Grabe meines Sohnes zu beten, wenn
der Stein dieſe fremden fabelhaften Geſtalten zeigt,
die mich ſchrecken, ſtatt mich zu erheben.

Es ſind Zeichen, Mutter, Zeichen für den liebe¬
vollſten Sinn, die Ihnen nicht fremd ſind, ſobald
Ihnen der Sinn nah getreten. Und würden Sie
nicht ergriffen werden, wenn ein italiäniſcher Poet
Strophen auf Edward in ſeiner Sprache gedichtet
hätte, obwohl ſie nicht Ihre Mutterſprache iſt?

Wohl, aber dann wär' es wirklich nur die Form,
die mich fremd berührte. Hier iſt der Sinn von Vor¬
ſtellungen, die meinem Heiligſten widerſtreiten, ſo ge¬
tränkt, daß ich mich abwende und nichts damit ge¬
mein haben kann.

Sie ſprechen es hart aus.

Es wundert mich, daß Sie hart finden, lieber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0217" n="205"/>
ausdrücken, wie mich das Bild ergriff; Edward ganz<lb/>
und gar, lebend und verklärt zugleich, und wunder¬<lb/>
bar! fa&#x017F;t durch Offenbarung die Art wiedergegeben,<lb/>
wie er &#x017F;ich bewegte, jene eigenthümlich innige Ge¬<lb/>
wohnheit den Kopf vorzuneigen, von der ich meinem<lb/>
Freunde nie ge&#x017F;prochen.</p><lb/>
        <p>Es mag Alles unbe&#x017F;tritten &#x017F;ein, was Sie &#x017F;agen,<lb/>
lieber Theodor, &#x017F;agte die Mutter nach einigem Be¬<lb/>
&#x017F;innen. Und doch verberge ich nicht, daß mir die<lb/>
Nebenfiguren, wie Sie &#x017F;ie be&#x017F;chreiben, durchaus wi¬<lb/>
der&#x017F;treben, daß ich mich nicht werde ent&#x017F;chließen kön¬<lb/>
nen, an dem Grabe meines Sohnes zu beten, wenn<lb/>
der Stein die&#x017F;e fremden fabelhaften Ge&#x017F;talten zeigt,<lb/>
die mich &#x017F;chrecken, &#x017F;tatt mich zu erheben.</p><lb/>
        <p>Es &#x017F;ind Zeichen, Mutter, Zeichen für den liebe¬<lb/>
voll&#x017F;ten Sinn, die Ihnen nicht fremd &#x017F;ind, &#x017F;obald<lb/>
Ihnen der Sinn nah getreten. Und würden Sie<lb/>
nicht ergriffen werden, wenn ein italiäni&#x017F;cher Poet<lb/>
Strophen auf Edward in &#x017F;einer Sprache gedichtet<lb/>
hätte, obwohl &#x017F;ie nicht Ihre Mutter&#x017F;prache i&#x017F;t?</p><lb/>
        <p>Wohl, aber dann wär' es wirklich nur die Form,<lb/>
die mich fremd berührte. Hier i&#x017F;t der Sinn von Vor¬<lb/>
&#x017F;tellungen, die meinem Heilig&#x017F;ten wider&#x017F;treiten, &#x017F;o ge¬<lb/>
tränkt, daß ich mich abwende und nichts damit ge¬<lb/>
mein haben kann.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;prechen es hart aus.</p><lb/>
        <p>Es wundert mich, daß Sie hart finden, lieber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0217] ausdrücken, wie mich das Bild ergriff; Edward ganz und gar, lebend und verklärt zugleich, und wunder¬ bar! faſt durch Offenbarung die Art wiedergegeben, wie er ſich bewegte, jene eigenthümlich innige Ge¬ wohnheit den Kopf vorzuneigen, von der ich meinem Freunde nie geſprochen. Es mag Alles unbeſtritten ſein, was Sie ſagen, lieber Theodor, ſagte die Mutter nach einigem Be¬ ſinnen. Und doch verberge ich nicht, daß mir die Nebenfiguren, wie Sie ſie beſchreiben, durchaus wi¬ derſtreben, daß ich mich nicht werde entſchließen kön¬ nen, an dem Grabe meines Sohnes zu beten, wenn der Stein dieſe fremden fabelhaften Geſtalten zeigt, die mich ſchrecken, ſtatt mich zu erheben. Es ſind Zeichen, Mutter, Zeichen für den liebe¬ vollſten Sinn, die Ihnen nicht fremd ſind, ſobald Ihnen der Sinn nah getreten. Und würden Sie nicht ergriffen werden, wenn ein italiäniſcher Poet Strophen auf Edward in ſeiner Sprache gedichtet hätte, obwohl ſie nicht Ihre Mutterſprache iſt? Wohl, aber dann wär' es wirklich nur die Form, die mich fremd berührte. Hier iſt der Sinn von Vor¬ ſtellungen, die meinem Heiligſten widerſtreiten, ſo ge¬ tränkt, daß ich mich abwende und nichts damit ge¬ mein haben kann. Sie ſprechen es hart aus. Es wundert mich, daß Sie hart finden, lieber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/217
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/217>, abgerufen am 24.11.2024.