nach einer Pause, das ich nicht wissen darf? Wenn du wüßtest, mit welchen Freuden ich über diese Schwelle trat, wie mich's selig durchfuhr, dich endlich einmal allein zu finden! und ich finde dich nun so fremd, verschlossner als in aller Bedrängniß fremder Gesell¬ schaft -- du weißt nicht, was du uns zu Leide thust!
Sie schwieg noch immer und hatte die Augen zu¬ gedrückt. Sie hielt in Gedanken die Worte, die er sprach, mit denen zusammen, die ihr so eben das Herz zusammengeschnürt hatten, seine Blicke mit de¬ nen, die ihr die alte Freundin geschildert hatte und die einer Andern galten. Es war etwas in ihr, das gern für ihn gesprochen hätte; aber zu viele Stim¬ men schrieen dagegen. Nicht, daß sie ihn für unwahr hielt, für unwürdig, und ihn anklagte in ihrem Her¬ zen. Sie hatte die Erzählung der Alten mit ange¬ hört, als gelte sie weder ihr noch ihm, wie ein Un¬ erhörtes, für das wir kein Organ in uns haben. Aber dennoch warf es ein letztes Gewicht auf die Last, die sie schon wochenlang getragen hatte. Theodor betrog sich, wenn er glaubte, durch seine gespannte unglück¬ liche Stimmung nur sich selbst wehe gethan zu haben. Daß er verändert war, der erste Glanz der Liebe verblichen, das Herz seiner selbst nicht mehr gewiß, war Marien nicht entgangen. Wenn er zugegen war, bezwang sie sich um seinetwillen; sie hätte ihm um die Welt nicht gestanden, daß sie an ihm zweifelte;
nach einer Pauſe, das ich nicht wiſſen darf? Wenn du wüßteſt, mit welchen Freuden ich über dieſe Schwelle trat, wie mich's ſelig durchfuhr, dich endlich einmal allein zu finden! und ich finde dich nun ſo fremd, verſchloſſner als in aller Bedrängniß fremder Geſell¬ ſchaft — du weißt nicht, was du uns zu Leide thuſt!
Sie ſchwieg noch immer und hatte die Augen zu¬ gedrückt. Sie hielt in Gedanken die Worte, die er ſprach, mit denen zuſammen, die ihr ſo eben das Herz zuſammengeſchnürt hatten, ſeine Blicke mit de¬ nen, die ihr die alte Freundin geſchildert hatte und die einer Andern galten. Es war etwas in ihr, das gern für ihn geſprochen hätte; aber zu viele Stim¬ men ſchrieen dagegen. Nicht, daß ſie ihn für unwahr hielt, für unwürdig, und ihn anklagte in ihrem Her¬ zen. Sie hatte die Erzählung der Alten mit ange¬ hört, als gelte ſie weder ihr noch ihm, wie ein Un¬ erhörtes, für das wir kein Organ in uns haben. Aber dennoch warf es ein letztes Gewicht auf die Laſt, die ſie ſchon wochenlang getragen hatte. Theodor betrog ſich, wenn er glaubte, durch ſeine geſpannte unglück¬ liche Stimmung nur ſich ſelbſt wehe gethan zu haben. Daß er verändert war, der erſte Glanz der Liebe verblichen, das Herz ſeiner ſelbſt nicht mehr gewiß, war Marien nicht entgangen. Wenn er zugegen war, bezwang ſie ſich um ſeinetwillen; ſie hätte ihm um die Welt nicht geſtanden, daß ſie an ihm zweifelte;
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nach einer Pauſe, das ich nicht wiſſen darf? Wenn du
wüßteſt, mit welchen Freuden ich über dieſe Schwelle
trat, wie mich's ſelig durchfuhr, dich endlich einmal
allein zu finden! und ich finde dich nun ſo fremd,
verſchloſſner als in aller Bedrängniß fremder Geſell¬
ſchaft — du weißt nicht, was du uns zu Leide thuſt!
Sie ſchwieg noch immer und hatte die Augen zu¬
gedrückt. Sie hielt in Gedanken die Worte, die er
ſprach, mit denen zuſammen, die ihr ſo eben das
Herz zuſammengeſchnürt hatten, ſeine Blicke mit de¬
nen, die ihr die alte Freundin geſchildert hatte und
die einer Andern galten. Es war etwas in ihr, das
gern für ihn geſprochen hätte; aber zu viele Stim¬
men ſchrieen dagegen. Nicht, daß ſie ihn für unwahr
hielt, für unwürdig, und ihn anklagte in ihrem Her¬
zen. Sie hatte die Erzählung der Alten mit ange¬
hört, als gelte ſie weder ihr noch ihm, wie ein Un¬
erhörtes, für das wir kein Organ in uns haben. Aber
dennoch warf es ein letztes Gewicht auf die Laſt, die
ſie ſchon wochenlang getragen hatte. Theodor betrog
ſich, wenn er glaubte, durch ſeine geſpannte unglück¬
liche Stimmung nur ſich ſelbſt wehe gethan zu haben.
Daß er verändert war, der erſte Glanz der Liebe
verblichen, das Herz ſeiner ſelbſt nicht mehr gewiß,
war Marien nicht entgangen. Wenn er zugegen war,
bezwang ſie ſich um ſeinetwillen; ſie hätte ihm um
die Welt nicht geſtanden, daß ſie an ihm zweifelte;
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/215>, abgerufen am 25.07.2024.
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