endlich die Via Margutta und klopfte, ohne zu zau¬ dern, an einem kleinen Hause. Die Thür gab nach und er trat in den Flur. Er sah die Steintreppe hinauf, über die ein Lichtstreif hinunterglitt. Oben mit der Lampe stand Caterina.
Der Mann weidete sich einen Augenblick an der vollkommenen Bildung des jungen Weibes, das am Geländer lehnte, die Lampe weit vor sich hin gestreckt, mit der lieblichsten Geberde der Freude bemüht, unten im Schatten das bekannte Gesicht zu erkennen. Sie nickte und lächelte und grüßte hinunter. Komm, komm! rief sie, als er unten verzog. Er stieg langsam die Stufen hinan. Als aber die Lampe sein Gesicht beschien, starb ihr Lächeln und Freude von den Lip¬ pen weg. Carlo, um Gotteswillen, du bist krank! rief sie ihm entgegen. Er drängte sie sanft zurück und schüttelte den erhobnen Zeigefinger abwehrend hin und her. Laß! sagte er. Komm herein, Cate¬ rina, komm!
Sie folgte ihm in athemloser Angst. Das Zim¬ merchen war niedrig, aber sauber und wohlausgestattet. Blumen standen an den Fenstern, ein Vogel hing im Bauer davor und schmetterte gerade jetzt, als der Lampenschein ihn beunruhigte; auf dem Tisch lag eine blanke Guitarre. Die Alte hatte mit einer Arbeit daneben gesessen. Sie stand nun auf, den Eintre¬ tenden begrüßend, unterwürfig und dreist. Guten
endlich die Via Margutta und klopfte, ohne zu zau¬ dern, an einem kleinen Hauſe. Die Thür gab nach und er trat in den Flur. Er ſah die Steintreppe hinauf, über die ein Lichtſtreif hinunterglitt. Oben mit der Lampe ſtand Caterina.
Der Mann weidete ſich einen Augenblick an der vollkommenen Bildung des jungen Weibes, das am Geländer lehnte, die Lampe weit vor ſich hin geſtreckt, mit der lieblichſten Geberde der Freude bemüht, unten im Schatten das bekannte Geſicht zu erkennen. Sie nickte und lächelte und grüßte hinunter. Komm, komm! rief ſie, als er unten verzog. Er ſtieg langſam die Stufen hinan. Als aber die Lampe ſein Geſicht beſchien, ſtarb ihr Lächeln und Freude von den Lip¬ pen weg. Carlo, um Gotteswillen, du biſt krank! rief ſie ihm entgegen. Er drängte ſie ſanft zurück und ſchüttelte den erhobnen Zeigefinger abwehrend hin und her. Laß! ſagte er. Komm herein, Cate¬ rina, komm!
Sie folgte ihm in athemloſer Angſt. Das Zim¬ merchen war niedrig, aber ſauber und wohlausgeſtattet. Blumen ſtanden an den Fenſtern, ein Vogel hing im Bauer davor und ſchmetterte gerade jetzt, als der Lampenſchein ihn beunruhigte; auf dem Tiſch lag eine blanke Guitarre. Die Alte hatte mit einer Arbeit daneben geſeſſen. Sie ſtand nun auf, den Eintre¬ tenden begrüßend, unterwürfig und dreiſt. Guten
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endlich die Via Margutta und klopfte, ohne zu zau¬
dern, an einem kleinen Hauſe. Die Thür gab nach
und er trat in den Flur. Er ſah die Steintreppe
hinauf, über die ein Lichtſtreif hinunterglitt. Oben
mit der Lampe ſtand Caterina.
Der Mann weidete ſich einen Augenblick an der
vollkommenen Bildung des jungen Weibes, das am
Geländer lehnte, die Lampe weit vor ſich hin geſtreckt,
mit der lieblichſten Geberde der Freude bemüht, unten
im Schatten das bekannte Geſicht zu erkennen. Sie
nickte und lächelte und grüßte hinunter. Komm,
komm! rief ſie, als er unten verzog. Er ſtieg langſam
die Stufen hinan. Als aber die Lampe ſein Geſicht
beſchien, ſtarb ihr Lächeln und Freude von den Lip¬
pen weg. Carlo, um Gotteswillen, du biſt krank!
rief ſie ihm entgegen. Er drängte ſie ſanft zurück
und ſchüttelte den erhobnen Zeigefinger abwehrend
hin und her. Laß! ſagte er. Komm herein, Cate¬
rina, komm!
Sie folgte ihm in athemloſer Angſt. Das Zim¬
merchen war niedrig, aber ſauber und wohlausgeſtattet.
Blumen ſtanden an den Fenſtern, ein Vogel hing
im Bauer davor und ſchmetterte gerade jetzt, als der
Lampenſchein ihn beunruhigte; auf dem Tiſch lag eine
blanke Guitarre. Die Alte hatte mit einer Arbeit
daneben geſeſſen. Sie ſtand nun auf, den Eintre¬
tenden begrüßend, unterwürfig und dreiſt. Guten
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/204>, abgerufen am 25.07.2024.
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