Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.schien roth durchs Fenster und die scharf umrissenen Theodor starrte wortlos noch immer den Kopf ſchien roth durchs Fenſter und die ſcharf umriſſenen Theodor ſtarrte wortlos noch immer den Kopf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0202" n="190"/> ſchien roth durchs Fenſter und die ſcharf umriſſenen<lb/> Figuren wurden deutlich genug. Man ſah einen<lb/> Jüngling am Ufer des Fluſſes, an dem der Vorder¬<lb/> theil eines Nachens und die wilde Geſtalt des greiſen<lb/> Fährmanns harrten. Der Fuß des Scheidenden war<lb/> ſchon auf den Bord geſetzt. Aber das Haupt und<lb/> der grüßende Arm waren nach der andern Seite ge¬<lb/> wendet, wo eine blühende weibliche Geſtalt, durch<lb/> ein Füllhorn bezeichnet, unter einem fruchtbaren Baum<lb/> ſaß, in edler Geberde des Schmerzes, das Haupt<lb/> niedergeſenkt. Ein Genius der Liebe lehnte an ihrer<lb/> Seite, die Fackel umgekehrt, daß er ihr Leben erſtickte,<lb/> mit den Augen an dem Jüngling hangend, ob es<lb/> möglich ſei, ihn zurückzuhalten. Aber zwiſchen ihnen<lb/> ſtand ernſt und abwehrend das Schreckbild der Parze.</p><lb/> <p>Theodor ſtarrte wortlos noch immer den Kopf<lb/> des Jünglings an, deſſen Züge ihn unbezwinglich<lb/> demüthigten. Er hatte Bianchi ein Bildniß Edwards<lb/> verſchafft, von Mariens Hand wenige Tage vor dem<lb/> Tode gezeichnet. Es zeigte die edeln Züge ſchon in<lb/> aller Feinheit der nahen Verklärung, und beſonders<lb/> die Augen waren rührend frei und groß. Zugleich,<lb/> da alles Zufällige abgefallen, ſah man die Aehnlich¬<lb/> keit der Geſchwiſter ſchlagend und faſt beunruhigend<lb/> für die Ueberlebende. Zum erſten Mal empfand dies<lb/> Theodor. Er ſah Marien vor ſich in Stunden des<lb/> Schmerzes oder einer hohen Bewegung, wo ihre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [190/0202]
ſchien roth durchs Fenſter und die ſcharf umriſſenen
Figuren wurden deutlich genug. Man ſah einen
Jüngling am Ufer des Fluſſes, an dem der Vorder¬
theil eines Nachens und die wilde Geſtalt des greiſen
Fährmanns harrten. Der Fuß des Scheidenden war
ſchon auf den Bord geſetzt. Aber das Haupt und
der grüßende Arm waren nach der andern Seite ge¬
wendet, wo eine blühende weibliche Geſtalt, durch
ein Füllhorn bezeichnet, unter einem fruchtbaren Baum
ſaß, in edler Geberde des Schmerzes, das Haupt
niedergeſenkt. Ein Genius der Liebe lehnte an ihrer
Seite, die Fackel umgekehrt, daß er ihr Leben erſtickte,
mit den Augen an dem Jüngling hangend, ob es
möglich ſei, ihn zurückzuhalten. Aber zwiſchen ihnen
ſtand ernſt und abwehrend das Schreckbild der Parze.
Theodor ſtarrte wortlos noch immer den Kopf
des Jünglings an, deſſen Züge ihn unbezwinglich
demüthigten. Er hatte Bianchi ein Bildniß Edwards
verſchafft, von Mariens Hand wenige Tage vor dem
Tode gezeichnet. Es zeigte die edeln Züge ſchon in
aller Feinheit der nahen Verklärung, und beſonders
die Augen waren rührend frei und groß. Zugleich,
da alles Zufällige abgefallen, ſah man die Aehnlich¬
keit der Geſchwiſter ſchlagend und faſt beunruhigend
für die Ueberlebende. Zum erſten Mal empfand dies
Theodor. Er ſah Marien vor ſich in Stunden des
Schmerzes oder einer hohen Bewegung, wo ihre
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