fast niedrig vor. Er schämte sich, daß er ihn hatte beneiden können. Ein zarter Glanz breitete sich wie¬ der um die lieben Gestalten seiner nächsten Angehö¬ rigen. Er sprang dann auf und stürzte mit über¬ vollem Herzen zu ihnen. Fand er aber dort Die er suchte in der ruhigen würdevollen Umgebung, die ihn verhinderte, sein Inneres auszuschütten, mußte er seine leidenschaftliche Hingebung zu einem gleichmü¬ thigen Gespräch über fremde Dinge herabstimmen und fand kaum Gelegenheit, seine Geliebte beim Weg¬ gehn flüchtig an sich zu pressen: so gerieth er in der Einsamkeit von neuem außer sich und brach in stür¬ mische Anklagen der Lauheit, des Zwanges und der Unnatur aus. Dann konnte er stundenlang am Ufer der Tiber vor Bianchi's Thür auf und ab gehn, hin¬ überstarren, wo sich Sanct Peter mächtig über die breite Masse des Vatican erhob, den Fluß verfolgen, der unter Gebüsch weit in die Landschaft hinaus lief, und dann zu der Thür seines Freundes flüchten, ohne den Klopfer zu rühren. Trat er wirklich ein, so ließ freilich die ziellose Qual von ihm. Aber die gereizte Fröhlichkeit, die ihn dann ergriff, die Begeisterung, die aus ihm sprühte, wenn er in der Werkstatt auf und ab ging und von Dingen der Kunst redete, waren weit von Gesundheit entfernt.
Bianchi entging der seltsam gährende Zustand sei¬ nes Freundes nicht. Aber er vermied es, den Grund
faſt niedrig vor. Er ſchämte ſich, daß er ihn hatte beneiden können. Ein zarter Glanz breitete ſich wie¬ der um die lieben Geſtalten ſeiner nächſten Angehö¬ rigen. Er ſprang dann auf und ſtürzte mit über¬ vollem Herzen zu ihnen. Fand er aber dort Die er ſuchte in der ruhigen würdevollen Umgebung, die ihn verhinderte, ſein Inneres auszuſchütten, mußte er ſeine leidenſchaftliche Hingebung zu einem gleichmü¬ thigen Geſpräch über fremde Dinge herabſtimmen und fand kaum Gelegenheit, ſeine Geliebte beim Weg¬ gehn flüchtig an ſich zu preſſen: ſo gerieth er in der Einſamkeit von neuem außer ſich und brach in ſtür¬ miſche Anklagen der Lauheit, des Zwanges und der Unnatur aus. Dann konnte er ſtundenlang am Ufer der Tiber vor Bianchi's Thür auf und ab gehn, hin¬ überſtarren, wo ſich Sanct Peter mächtig über die breite Maſſe des Vatican erhob, den Fluß verfolgen, der unter Gebüſch weit in die Landſchaft hinaus lief, und dann zu der Thür ſeines Freundes flüchten, ohne den Klopfer zu rühren. Trat er wirklich ein, ſo ließ freilich die zielloſe Qual von ihm. Aber die gereizte Fröhlichkeit, die ihn dann ergriff, die Begeiſterung, die aus ihm ſprühte, wenn er in der Werkſtatt auf und ab ging und von Dingen der Kunſt redete, waren weit von Geſundheit entfernt.
Bianchi entging der ſeltſam gährende Zuſtand ſei¬ nes Freundes nicht. Aber er vermied es, den Grund
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faſt niedrig vor. Er ſchämte ſich, daß er ihn hatte
beneiden können. Ein zarter Glanz breitete ſich wie¬
der um die lieben Geſtalten ſeiner nächſten Angehö¬
rigen. Er ſprang dann auf und ſtürzte mit über¬
vollem Herzen zu ihnen. Fand er aber dort Die er
ſuchte in der ruhigen würdevollen Umgebung, die
ihn verhinderte, ſein Inneres auszuſchütten, mußte er
ſeine leidenſchaftliche Hingebung zu einem gleichmü¬
thigen Geſpräch über fremde Dinge herabſtimmen
und fand kaum Gelegenheit, ſeine Geliebte beim Weg¬
gehn flüchtig an ſich zu preſſen: ſo gerieth er in der
Einſamkeit von neuem außer ſich und brach in ſtür¬
miſche Anklagen der Lauheit, des Zwanges und der
Unnatur aus. Dann konnte er ſtundenlang am Ufer
der Tiber vor Bianchi's Thür auf und ab gehn, hin¬
überſtarren, wo ſich Sanct Peter mächtig über die
breite Maſſe des Vatican erhob, den Fluß verfolgen,
der unter Gebüſch weit in die Landſchaft hinaus lief,
und dann zu der Thür ſeines Freundes flüchten, ohne
den Klopfer zu rühren. Trat er wirklich ein, ſo ließ
freilich die zielloſe Qual von ihm. Aber die gereizte
Fröhlichkeit, die ihn dann ergriff, die Begeiſterung,
die aus ihm ſprühte, wenn er in der Werkſtatt auf
und ab ging und von Dingen der Kunſt redete, waren
weit von Geſundheit entfernt.
Bianchi entging der ſeltſam gährende Zuſtand ſei¬
nes Freundes nicht. Aber er vermied es, den Grund
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/196>, abgerufen am 25.07.2024.
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