Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.Nirgends sind unreine Stimmungen, halbe Ver¬ Und doch können wir nichts von uns ablösen, Nirgends ſind unreine Stimmungen, halbe Ver¬ Und doch können wir nichts von uns ablöſen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0195" n="183"/> <p>Nirgends ſind unreine Stimmungen, halbe Ver¬<lb/> hältniſſe und unentſchloſſene Wünſche widerwärtiger<lb/> und empörender, als in Rom. Die großen Umge¬<lb/> bungen, voller Zeugniſſe reiner Menſchenkraft und<lb/> ſicheren Wollens, ſind nur ohne Neid und Schmerz<lb/> zu ertragen, wenn man ſich auch im engſten Bereich<lb/> des eigenen Wirkens ſeiner Geſundheit und Lauter¬<lb/> keit freuen kann. Wem es dort nicht gelingt, die<lb/> halben und ſchiefen Stimmungen mit Gewalt von<lb/> ſich zu ſtoßen, dem wachſen ſie wie eine Krankheit<lb/> unglaublich ſchnell über den Kopf und verſchlingen<lb/> ſeine ganze Ruhe. Denn an Beſchönigen und Be¬<lb/> trügen vor ſich ſelbſt ſoll er nicht denken, wo ihn<lb/> jeden Augenblick die ganze Offenheit, das unbeküm¬<lb/> merte Bekenntniß einer genialen Vorwelt niederſchlägt<lb/> und beſchämt.</p><lb/> <p>Und doch können wir nichts von uns ablöſen,<lb/> was ein Recht auf uns hat, ohne uns in neuen<lb/> Streit mit uns ſelbſt zu ſtürzen und mit unſerm<lb/> Gewiſſen zu zerfallen, da wir früher nur mit unſern<lb/> Meinungen und Wünſchen entzweit waren. Uns zu<lb/> retten, bedarf es der Ueberzeugung. Und Theodor<lb/> war nicht überzeugt; nur zweifelhaft und erſchüttert.<lb/> In lichteren Stunden wiederholte er ſich die alte Weis¬<lb/> heit, daß Eines nicht für Alle tauge. Bianchi's Art<lb/> zu ſein und zu leben, die ihm oft als die menſchlichſte,<lb/> nothwendigſte und reinſte erſchien, kam ihm dann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [183/0195]
Nirgends ſind unreine Stimmungen, halbe Ver¬
hältniſſe und unentſchloſſene Wünſche widerwärtiger
und empörender, als in Rom. Die großen Umge¬
bungen, voller Zeugniſſe reiner Menſchenkraft und
ſicheren Wollens, ſind nur ohne Neid und Schmerz
zu ertragen, wenn man ſich auch im engſten Bereich
des eigenen Wirkens ſeiner Geſundheit und Lauter¬
keit freuen kann. Wem es dort nicht gelingt, die
halben und ſchiefen Stimmungen mit Gewalt von
ſich zu ſtoßen, dem wachſen ſie wie eine Krankheit
unglaublich ſchnell über den Kopf und verſchlingen
ſeine ganze Ruhe. Denn an Beſchönigen und Be¬
trügen vor ſich ſelbſt ſoll er nicht denken, wo ihn
jeden Augenblick die ganze Offenheit, das unbeküm¬
merte Bekenntniß einer genialen Vorwelt niederſchlägt
und beſchämt.
Und doch können wir nichts von uns ablöſen,
was ein Recht auf uns hat, ohne uns in neuen
Streit mit uns ſelbſt zu ſtürzen und mit unſerm
Gewiſſen zu zerfallen, da wir früher nur mit unſern
Meinungen und Wünſchen entzweit waren. Uns zu
retten, bedarf es der Ueberzeugung. Und Theodor
war nicht überzeugt; nur zweifelhaft und erſchüttert.
In lichteren Stunden wiederholte er ſich die alte Weis¬
heit, daß Eines nicht für Alle tauge. Bianchi's Art
zu ſein und zu leben, die ihm oft als die menſchlichſte,
nothwendigſte und reinſte erſchien, kam ihm dann
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