Nirgends sind unreine Stimmungen, halbe Ver¬ hältnisse und unentschlossene Wünsche widerwärtiger und empörender, als in Rom. Die großen Umge¬ bungen, voller Zeugnisse reiner Menschenkraft und sicheren Wollens, sind nur ohne Neid und Schmerz zu ertragen, wenn man sich auch im engsten Bereich des eigenen Wirkens seiner Gesundheit und Lauter¬ keit freuen kann. Wem es dort nicht gelingt, die halben und schiefen Stimmungen mit Gewalt von sich zu stoßen, dem wachsen sie wie eine Krankheit unglaublich schnell über den Kopf und verschlingen seine ganze Ruhe. Denn an Beschönigen und Be¬ trügen vor sich selbst soll er nicht denken, wo ihn jeden Augenblick die ganze Offenheit, das unbeküm¬ merte Bekenntniß einer genialen Vorwelt niederschlägt und beschämt.
Und doch können wir nichts von uns ablösen, was ein Recht auf uns hat, ohne uns in neuen Streit mit uns selbst zu stürzen und mit unserm Gewissen zu zerfallen, da wir früher nur mit unsern Meinungen und Wünschen entzweit waren. Uns zu retten, bedarf es der Ueberzeugung. Und Theodor war nicht überzeugt; nur zweifelhaft und erschüttert. In lichteren Stunden wiederholte er sich die alte Weis¬ heit, daß Eines nicht für Alle tauge. Bianchi's Art zu sein und zu leben, die ihm oft als die menschlichste, nothwendigste und reinste erschien, kam ihm dann
Nirgends ſind unreine Stimmungen, halbe Ver¬ hältniſſe und unentſchloſſene Wünſche widerwärtiger und empörender, als in Rom. Die großen Umge¬ bungen, voller Zeugniſſe reiner Menſchenkraft und ſicheren Wollens, ſind nur ohne Neid und Schmerz zu ertragen, wenn man ſich auch im engſten Bereich des eigenen Wirkens ſeiner Geſundheit und Lauter¬ keit freuen kann. Wem es dort nicht gelingt, die halben und ſchiefen Stimmungen mit Gewalt von ſich zu ſtoßen, dem wachſen ſie wie eine Krankheit unglaublich ſchnell über den Kopf und verſchlingen ſeine ganze Ruhe. Denn an Beſchönigen und Be¬ trügen vor ſich ſelbſt ſoll er nicht denken, wo ihn jeden Augenblick die ganze Offenheit, das unbeküm¬ merte Bekenntniß einer genialen Vorwelt niederſchlägt und beſchämt.
Und doch können wir nichts von uns ablöſen, was ein Recht auf uns hat, ohne uns in neuen Streit mit uns ſelbſt zu ſtürzen und mit unſerm Gewiſſen zu zerfallen, da wir früher nur mit unſern Meinungen und Wünſchen entzweit waren. Uns zu retten, bedarf es der Ueberzeugung. Und Theodor war nicht überzeugt; nur zweifelhaft und erſchüttert. In lichteren Stunden wiederholte er ſich die alte Weis¬ heit, daß Eines nicht für Alle tauge. Bianchi's Art zu ſein und zu leben, die ihm oft als die menſchlichſte, nothwendigſte und reinſte erſchien, kam ihm dann
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Nirgends ſind unreine Stimmungen, halbe Ver¬
hältniſſe und unentſchloſſene Wünſche widerwärtiger
und empörender, als in Rom. Die großen Umge¬
bungen, voller Zeugniſſe reiner Menſchenkraft und
ſicheren Wollens, ſind nur ohne Neid und Schmerz
zu ertragen, wenn man ſich auch im engſten Bereich
des eigenen Wirkens ſeiner Geſundheit und Lauter¬
keit freuen kann. Wem es dort nicht gelingt, die
halben und ſchiefen Stimmungen mit Gewalt von
ſich zu ſtoßen, dem wachſen ſie wie eine Krankheit
unglaublich ſchnell über den Kopf und verſchlingen
ſeine ganze Ruhe. Denn an Beſchönigen und Be¬
trügen vor ſich ſelbſt ſoll er nicht denken, wo ihn
jeden Augenblick die ganze Offenheit, das unbeküm¬
merte Bekenntniß einer genialen Vorwelt niederſchlägt
und beſchämt.
Und doch können wir nichts von uns ablöſen,
was ein Recht auf uns hat, ohne uns in neuen
Streit mit uns ſelbſt zu ſtürzen und mit unſerm
Gewiſſen zu zerfallen, da wir früher nur mit unſern
Meinungen und Wünſchen entzweit waren. Uns zu
retten, bedarf es der Ueberzeugung. Und Theodor
war nicht überzeugt; nur zweifelhaft und erſchüttert.
In lichteren Stunden wiederholte er ſich die alte Weis¬
heit, daß Eines nicht für Alle tauge. Bianchi's Art
zu ſein und zu leben, die ihm oft als die menſchlichſte,
nothwendigſte und reinſte erſchien, kam ihm dann
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/195>, abgerufen am 25.07.2024.
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