behalten, nachgeformt hatte. Es ist menschlicher und heftiger dort, als bei den Griechen, wo's zur Larve geworden ist. Ich habe nie danach gefragt, was sie davon fabeln, und lesen widersteht mir.
Wenn es Euch recht ist, les' ich Euch die Ge¬ schichte vor, wie sie ein alter Poet erzählt hat.
Thut's, und bald, und -- wann kommt Ihr wie¬ der? fragte er, als Theodor aufstand.
Heute Nacht, sagte der junge Mann. Aber nicht um vorzulesen. Denn Ihr seid noch nicht aus der Cur. Ich will nichts hören; ich weiß was Ihr sagen wollt. Aber ein Kranker hat keinen Willen. -- --
Als er auf die Nacht wiederkam, fand er Wein auf dem Tisch und einen bequemen gepolsterten Sessel am Kamin. Bianchi schlief, und der Bursch flüsterte ihm zu, daß er den Wein aus der Osterie holen und den Sessel von einer Nachbarin habe entlehnen müssen. Erst als Beides angeschafft, habe sich der Herr be¬ ruhigt und sei entschlafen.
Am folgenden Abend las Theodor aus einem ita¬ liänischen Ovid, wie er versprochen hatte. Er sah zuweilen übers Buch weg nach Bianchi, dessen Augen still an der Decke hingen. Kein Wort gab er von sich. Die ruhige Stimme Theodors schien ihn zu be¬ zaubern, die Märchen, die er hörte, ihn im Innersten
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behalten, nachgeformt hatte. Es iſt menſchlicher und heftiger dort, als bei den Griechen, wo's zur Larve geworden iſt. Ich habe nie danach gefragt, was ſie davon fabeln, und leſen widerſteht mir.
Wenn es Euch recht iſt, leſ' ich Euch die Ge¬ ſchichte vor, wie ſie ein alter Poet erzählt hat.
Thut's, und bald, und — wann kommt Ihr wie¬ der? fragte er, als Theodor aufſtand.
Heute Nacht, ſagte der junge Mann. Aber nicht um vorzuleſen. Denn Ihr ſeid noch nicht aus der Cur. Ich will nichts hören; ich weiß was Ihr ſagen wollt. Aber ein Kranker hat keinen Willen. — —
Als er auf die Nacht wiederkam, fand er Wein auf dem Tiſch und einen bequemen gepolſterten Seſſel am Kamin. Bianchi ſchlief, und der Burſch flüſterte ihm zu, daß er den Wein aus der Oſterie holen und den Seſſel von einer Nachbarin habe entlehnen müſſen. Erſt als Beides angeſchafft, habe ſich der Herr be¬ ruhigt und ſei entſchlafen.
Am folgenden Abend las Theodor aus einem ita¬ liäniſchen Ovid, wie er verſprochen hatte. Er ſah zuweilen übers Buch weg nach Bianchi, deſſen Augen ſtill an der Decke hingen. Kein Wort gab er von ſich. Die ruhige Stimme Theodors ſchien ihn zu be¬ zaubern, die Märchen, die er hörte, ihn im Innerſten
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behalten, nachgeformt hatte. Es iſt menſchlicher und
heftiger dort, als bei den Griechen, wo's zur Larve
geworden iſt. Ich habe nie danach gefragt, was ſie
davon fabeln, und leſen widerſteht mir.
Wenn es Euch recht iſt, leſ' ich Euch die Ge¬
ſchichte vor, wie ſie ein alter Poet erzählt hat.
Thut's, und bald, und — wann kommt Ihr wie¬
der? fragte er, als Theodor aufſtand.
Heute Nacht, ſagte der junge Mann. Aber nicht
um vorzuleſen. Denn Ihr ſeid noch nicht aus der
Cur. Ich will nichts hören; ich weiß was Ihr ſagen
wollt. Aber ein Kranker hat keinen Willen. — —
Als er auf die Nacht wiederkam, fand er Wein
auf dem Tiſch und einen bequemen gepolſterten Seſſel
am Kamin. Bianchi ſchlief, und der Burſch flüſterte
ihm zu, daß er den Wein aus der Oſterie holen und
den Seſſel von einer Nachbarin habe entlehnen müſſen.
Erſt als Beides angeſchafft, habe ſich der Herr be¬
ruhigt und ſei entſchlafen.
Am folgenden Abend las Theodor aus einem ita¬
liäniſchen Ovid, wie er verſprochen hatte. Er ſah
zuweilen übers Buch weg nach Bianchi, deſſen Augen
ſtill an der Decke hingen. Kein Wort gab er von
ſich. Die ruhige Stimme Theodors ſchien ihn zu be¬
zaubern, die Märchen, die er hörte, ihn im Innerſten
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/173>, abgerufen am 25.07.2024.
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