Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

unnöthig war, sagte sie. Sie werden verhindert wor¬
den sein; es war thöricht, sich gleich das Schlimmste
zu denken. Ich will meine Eltern rufen.

Er hielt sie dringend zurück. Sie haben geweint,
Marie --

Es ist nichts; ich hatte eine schlechte Nacht, und
eben hat mich die Musik in allen Nerven erschüttert.

Er ließ ihre Hände los, sie blieb auf derselben
Stelle und stützte sich auf die Lehne des Stuhls.
Ein paar Mal durchmaß er das Zimmer, dann blieb
er ihr gegenüber stehn. Er nahm wieder ihre Hände,
er stammelte ein Wort, dann umschlang er sie heftig.
Sie ruhte weinend, innig und selig in seinen Armen.

Wir wollen zu den Eltern gehn, sagte Marie,
als sie sich aus dem Sturm der ersten Umarmung
wieder aufrichtete. Komm!

Sie faßte ihn sanft bei der Hand. Er wäre gern
geblieben; es dünkte ihn, als werde sie ihm wieder
entrissen, wenn sie unter Andern wären. Doch ließ
er sich führen. Sie fanden die Eltern zusammen im
Cabinet der Mutter. Als er eintrat, war es ihm,
als müsse er seine Geliebte bitten zu verschweigen,
was zwischen ihnen vorgegangen war. Er fühlte
sich unfähig, darüber Rede zu stehn und Andern als
ihr selbst in seiner Trunkenheit zu begegnen. Da hatte
sie schon das Wort gesagt. Die Mutter, eine große
feierliche Frau, schloß ihn herzlich in die Arme. Wie

unnöthig war, ſagte ſie. Sie werden verhindert wor¬
den ſein; es war thöricht, ſich gleich das Schlimmſte
zu denken. Ich will meine Eltern rufen.

Er hielt ſie dringend zurück. Sie haben geweint,
Marie —

Es iſt nichts; ich hatte eine ſchlechte Nacht, und
eben hat mich die Muſik in allen Nerven erſchüttert.

Er ließ ihre Hände los, ſie blieb auf derſelben
Stelle und ſtützte ſich auf die Lehne des Stuhls.
Ein paar Mal durchmaß er das Zimmer, dann blieb
er ihr gegenüber ſtehn. Er nahm wieder ihre Hände,
er ſtammelte ein Wort, dann umſchlang er ſie heftig.
Sie ruhte weinend, innig und ſelig in ſeinen Armen.

Wir wollen zu den Eltern gehn, ſagte Marie,
als ſie ſich aus dem Sturm der erſten Umarmung
wieder aufrichtete. Komm!

Sie faßte ihn ſanft bei der Hand. Er wäre gern
geblieben; es dünkte ihn, als werde ſie ihm wieder
entriſſen, wenn ſie unter Andern wären. Doch ließ
er ſich führen. Sie fanden die Eltern zuſammen im
Cabinet der Mutter. Als er eintrat, war es ihm,
als müſſe er ſeine Geliebte bitten zu verſchweigen,
was zwiſchen ihnen vorgegangen war. Er fühlte
ſich unfähig, darüber Rede zu ſtehn und Andern als
ihr ſelbſt in ſeiner Trunkenheit zu begegnen. Da hatte
ſie ſchon das Wort geſagt. Die Mutter, eine große
feierliche Frau, ſchloß ihn herzlich in die Arme. Wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0165" n="153"/>
unnöthig war, &#x017F;agte &#x017F;ie. Sie werden verhindert wor¬<lb/>
den &#x017F;ein; es war thöricht, &#x017F;ich gleich das Schlimm&#x017F;te<lb/>
zu denken. Ich will meine Eltern rufen.</p><lb/>
        <p>Er hielt &#x017F;ie dringend zurück. Sie haben geweint,<lb/>
Marie &#x2014;</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t nichts; ich hatte eine &#x017F;chlechte Nacht, und<lb/>
eben hat mich die Mu&#x017F;ik in allen Nerven er&#x017F;chüttert.</p><lb/>
        <p>Er ließ ihre Hände los, &#x017F;ie blieb auf der&#x017F;elben<lb/>
Stelle und &#x017F;tützte &#x017F;ich auf die Lehne des Stuhls.<lb/>
Ein paar Mal durchmaß er das Zimmer, dann blieb<lb/>
er ihr gegenüber &#x017F;tehn. Er nahm wieder ihre Hände,<lb/>
er &#x017F;tammelte ein Wort, dann um&#x017F;chlang er &#x017F;ie heftig.<lb/>
Sie ruhte weinend, innig und &#x017F;elig in &#x017F;einen Armen.</p><lb/>
        <p>Wir wollen zu den Eltern gehn, &#x017F;agte Marie,<lb/>
als &#x017F;ie &#x017F;ich aus dem Sturm der er&#x017F;ten Umarmung<lb/>
wieder aufrichtete. Komm!</p><lb/>
        <p>Sie faßte ihn &#x017F;anft bei der Hand. Er wäre gern<lb/>
geblieben; es dünkte ihn, als werde &#x017F;ie ihm wieder<lb/>
entri&#x017F;&#x017F;en, wenn &#x017F;ie unter Andern wären. Doch ließ<lb/>
er &#x017F;ich führen. Sie fanden die Eltern zu&#x017F;ammen im<lb/>
Cabinet der Mutter. Als er eintrat, war es ihm,<lb/>
als mü&#x017F;&#x017F;e er &#x017F;eine Geliebte bitten zu ver&#x017F;chweigen,<lb/>
was zwi&#x017F;chen ihnen vorgegangen war. Er fühlte<lb/>
&#x017F;ich unfähig, darüber Rede zu &#x017F;tehn und Andern als<lb/>
ihr &#x017F;elb&#x017F;t in &#x017F;einer Trunkenheit zu begegnen. Da hatte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chon das Wort ge&#x017F;agt. Die Mutter, eine große<lb/>
feierliche Frau, &#x017F;chloß ihn herzlich in die Arme. Wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0165] unnöthig war, ſagte ſie. Sie werden verhindert wor¬ den ſein; es war thöricht, ſich gleich das Schlimmſte zu denken. Ich will meine Eltern rufen. Er hielt ſie dringend zurück. Sie haben geweint, Marie — Es iſt nichts; ich hatte eine ſchlechte Nacht, und eben hat mich die Muſik in allen Nerven erſchüttert. Er ließ ihre Hände los, ſie blieb auf derſelben Stelle und ſtützte ſich auf die Lehne des Stuhls. Ein paar Mal durchmaß er das Zimmer, dann blieb er ihr gegenüber ſtehn. Er nahm wieder ihre Hände, er ſtammelte ein Wort, dann umſchlang er ſie heftig. Sie ruhte weinend, innig und ſelig in ſeinen Armen. Wir wollen zu den Eltern gehn, ſagte Marie, als ſie ſich aus dem Sturm der erſten Umarmung wieder aufrichtete. Komm! Sie faßte ihn ſanft bei der Hand. Er wäre gern geblieben; es dünkte ihn, als werde ſie ihm wieder entriſſen, wenn ſie unter Andern wären. Doch ließ er ſich führen. Sie fanden die Eltern zuſammen im Cabinet der Mutter. Als er eintrat, war es ihm, als müſſe er ſeine Geliebte bitten zu verſchweigen, was zwiſchen ihnen vorgegangen war. Er fühlte ſich unfähig, darüber Rede zu ſtehn und Andern als ihr ſelbſt in ſeiner Trunkenheit zu begegnen. Da hatte ſie ſchon das Wort geſagt. Die Mutter, eine große feierliche Frau, ſchloß ihn herzlich in die Arme. Wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/165
Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/165>, abgerufen am 20.12.2024.