Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.gierig. Es war das einzige Buch, das er entdecken So gingen die Stunden. Lange nach Mitternacht Wer seid Ihr? Ein Freund; erkennt mich nur! erwiederte Theodor. Das ist gelogen; ich habe keinen! schrie der Ver¬ Ihr seid's. Nun erkenn' ich Euch. Was thut Ihr Der Arzt will, daß Eure Wunden über Nacht Seid Ihr nicht auch ein fremder Mensch? gierig. Es war das einzige Buch, das er entdecken So gingen die Stunden. Lange nach Mitternacht Wer ſeid Ihr? Ein Freund; erkennt mich nur! erwiederte Theodor. Das iſt gelogen; ich habe keinen! ſchrie der Ver¬ Ihr ſeid's. Nun erkenn' ich Euch. Was thut Ihr Der Arzt will, daß Eure Wunden über Nacht Seid Ihr nicht auch ein fremder Menſch? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0161" n="149"/> gierig. Es war das einzige Buch, das er entdecken<lb/> konnte.</p><lb/> <p>So gingen die Stunden. Lange nach Mitternacht<lb/> ſtöhnte der Schlafende heftig auf und ſchlug mit den<lb/> Händen im Traum um ſich. Als Theodor ihm das<lb/> verſchobene Lager wieder zurecht rückte und die Decken<lb/> neu über ihn breitete, erwachte er vollends und fuhr<lb/> auf. Wie zur Gegenwehr taſtete er umher und rief<lb/> mit entſchloſſener Stimme:</p><lb/> <p>Wer ſeid Ihr?</p><lb/> <p>Ein Freund; erkennt mich nur! erwiederte Theodor.</p><lb/> <p>Das iſt gelogen; ich habe keinen! ſchrie der Ver¬<lb/> wundete und ſtrebte in die Höhe. Der Schmerz an<lb/> den verbundenen Gliedern klärte ihn auf; er ſank<lb/> zurück und ſammelte ſich vollends. Eine Zeitlang lag<lb/> er ſtill. Dann ſagte er ſanfter:</p><lb/> <p>Ihr ſeid's. Nun erkenn' ich Euch. Was thut Ihr<lb/> hier zu dieſer Zeit? Warum ſeid Ihr nicht nach<lb/> Haus gegangen? Seid Ihr anders, als andere Mut¬<lb/> terkinder, die im Wachen rechtſchaffen ſind nur um<lb/> einen ruhigen Schlaf zu haben? Geht! Ihr habt<lb/> Euern Schlaf verdient; warum bewacht Ihr meine<lb/> Träume?</p><lb/> <p>Der Arzt will, daß Eure Wunden über Nacht<lb/> kühl gehalten werden. Ich konnt' es dem fremden<lb/> Menſchen nicht anvertrauen.</p><lb/> <p>Seid Ihr nicht auch ein fremder Menſch?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [149/0161]
gierig. Es war das einzige Buch, das er entdecken
konnte.
So gingen die Stunden. Lange nach Mitternacht
ſtöhnte der Schlafende heftig auf und ſchlug mit den
Händen im Traum um ſich. Als Theodor ihm das
verſchobene Lager wieder zurecht rückte und die Decken
neu über ihn breitete, erwachte er vollends und fuhr
auf. Wie zur Gegenwehr taſtete er umher und rief
mit entſchloſſener Stimme:
Wer ſeid Ihr?
Ein Freund; erkennt mich nur! erwiederte Theodor.
Das iſt gelogen; ich habe keinen! ſchrie der Ver¬
wundete und ſtrebte in die Höhe. Der Schmerz an
den verbundenen Gliedern klärte ihn auf; er ſank
zurück und ſammelte ſich vollends. Eine Zeitlang lag
er ſtill. Dann ſagte er ſanfter:
Ihr ſeid's. Nun erkenn' ich Euch. Was thut Ihr
hier zu dieſer Zeit? Warum ſeid Ihr nicht nach
Haus gegangen? Seid Ihr anders, als andere Mut¬
terkinder, die im Wachen rechtſchaffen ſind nur um
einen ruhigen Schlaf zu haben? Geht! Ihr habt
Euern Schlaf verdient; warum bewacht Ihr meine
Träume?
Der Arzt will, daß Eure Wunden über Nacht
kühl gehalten werden. Ich konnt' es dem fremden
Menſchen nicht anvertrauen.
Seid Ihr nicht auch ein fremder Menſch?
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