Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.Den letzten Winter aber ließ sie mich nicht von sich. Dann starb sie? Im Frühling. Der Vater bald darauf. Er ver¬ Sie waren im Grunde angekommen und blieben Den letzten Winter aber ließ ſie mich nicht von ſich. Dann ſtarb ſie? Im Frühling. Der Vater bald darauf. Er ver¬ Sie waren im Grunde angekommen und blieben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0158" n="146"/> Den letzten Winter aber ließ ſie mich nicht von ſich.<lb/> Ich ſaß die vollen Tage neben ihr, arbeitete und<lb/> ſprach dazwiſchen, oder ſpielte ihr ihre Lieblingsmelo¬<lb/> dieen vor, jene einfachen alten Lieder, die nun ganz<lb/> aus der Mode ſind. Der kleine Saal ging auf den<lb/> Garten hinaus mit vielen hohen Fenſtern. Ich ſehe<lb/> noch meinen Vater auf der Terraſſe davor auf und<lb/> nieder wandeln mit der Bärenmütze und kurzen Pfeife.<lb/> Er konnte die Luft des geheizten Raumes nicht lange<lb/> ertragen. Aber ſelten verließ er jenen Platz, und wer<lb/> ein Geſchäft mit ihm hatte, mußte ihn dort aufſuchen.<lb/> Von Zeit zu Zeit kam er auf eine Viertelſtunde zu<lb/> uns herein. Ich werde den Blick nie vergeſſen, mit<lb/> dem dann meine arme Mutter zu ihm aufſah. Sie<lb/> hatte ſchöne verklärte blaue Augen.</p><lb/> <p>Dann ſtarb ſie?</p><lb/> <p>Im Frühling. Der Vater bald darauf. Er ver¬<lb/> unglückte auf einem Ritt. Seit die Mutter von uns<lb/> gegangen war, hatte er nicht Ruhe, beſtieg die wil¬<lb/> deſten Pferde und blieb oft halbe Tage lang aus,<lb/> ſo ſehr ich ihn beſchwor, ſich zu ſchonen. Ich kannte<lb/> ihn, ich wurde die unheimlichſte Angſt nicht los —<lb/> ich hatte nur zu ſehr Recht. — —</p><lb/> <p>Sie waren im Grunde angekommen und blieben<lb/> ſtehn, ihre Begleiterin zu erwarten. Marie ſtand einige<lb/> Schritte von ihm, ſo daß er, wie er ſich wandte und<lb/> die Gegend überſchaute, ihr volles Bild vor ſich hatte.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [146/0158]
Den letzten Winter aber ließ ſie mich nicht von ſich.
Ich ſaß die vollen Tage neben ihr, arbeitete und
ſprach dazwiſchen, oder ſpielte ihr ihre Lieblingsmelo¬
dieen vor, jene einfachen alten Lieder, die nun ganz
aus der Mode ſind. Der kleine Saal ging auf den
Garten hinaus mit vielen hohen Fenſtern. Ich ſehe
noch meinen Vater auf der Terraſſe davor auf und
nieder wandeln mit der Bärenmütze und kurzen Pfeife.
Er konnte die Luft des geheizten Raumes nicht lange
ertragen. Aber ſelten verließ er jenen Platz, und wer
ein Geſchäft mit ihm hatte, mußte ihn dort aufſuchen.
Von Zeit zu Zeit kam er auf eine Viertelſtunde zu
uns herein. Ich werde den Blick nie vergeſſen, mit
dem dann meine arme Mutter zu ihm aufſah. Sie
hatte ſchöne verklärte blaue Augen.
Dann ſtarb ſie?
Im Frühling. Der Vater bald darauf. Er ver¬
unglückte auf einem Ritt. Seit die Mutter von uns
gegangen war, hatte er nicht Ruhe, beſtieg die wil¬
deſten Pferde und blieb oft halbe Tage lang aus,
ſo ſehr ich ihn beſchwor, ſich zu ſchonen. Ich kannte
ihn, ich wurde die unheimlichſte Angſt nicht los —
ich hatte nur zu ſehr Recht. — —
Sie waren im Grunde angekommen und blieben
ſtehn, ihre Begleiterin zu erwarten. Marie ſtand einige
Schritte von ihm, ſo daß er, wie er ſich wandte und
die Gegend überſchaute, ihr volles Bild vor ſich hatte.
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