den Boden der Barke und bemerkte jetzt das Blut. Sie warf einen raschen Blick nach der Hand, die, als sei sie unverwundet, das Ruder führte. Da, sagte sie und reichte ihm ihr Tuch. Er schüttelte den Kopf und ruderte vorwärts. Sie stand endlich auf, trat zu ihm und band ihm das Tuch fest um die tiefe Wunde. Darauf nahm sie ihm, so viel er auch abwehrte, das eine Ruder aus der Hand und setzte sich ihm gegenüber, doch ohne ihn anzusehn, fest auf das Ruder blickend, das vom Blut geröthet war, und mit kräftigen Stößen die Barke forttrei¬ bend. Sie waren beide blaß und still. Als sie näher ans Land kamen, begegneten ihnen Fischer, die ihre Netze auf die Nacht auswerfen wollten. Sie riefen Antonino an und neckten Laurella. Keins sah auf oder erwiederte ein Wort.
Die Sonne stand noch ziemlich hoch über Pro¬ cida, als sie die Marine erreichten, Laurella schüt¬ telte ihr Röckchen, das fast völlig überm Meer ge¬ trocknet war, und sprang ans Land. Die alte spin¬ nende Frau, die sie schon am Morgen hatte abfahren sehen, stand wieder auf dem Dach. Was hast du an der Hand, Tonino? rief sie hinunter. Jesus Christus, die Barke schwimmt ja in Blut!
's ist nichts, Commare, erwiederte der Bursch. Ich riß mich an einem Nagel, der zu weit vorsah. Morgen ist's vorbei. Das verwünschte Blut ist nur
8 *
den Boden der Barke und bemerkte jetzt das Blut. Sie warf einen raſchen Blick nach der Hand, die, als ſei ſie unverwundet, das Ruder führte. Da, ſagte ſie und reichte ihm ihr Tuch. Er ſchüttelte den Kopf und ruderte vorwärts. Sie ſtand endlich auf, trat zu ihm und band ihm das Tuch feſt um die tiefe Wunde. Darauf nahm ſie ihm, ſo viel er auch abwehrte, das eine Ruder aus der Hand und ſetzte ſich ihm gegenüber, doch ohne ihn anzuſehn, feſt auf das Ruder blickend, das vom Blut geröthet war, und mit kräftigen Stößen die Barke forttrei¬ bend. Sie waren beide blaß und ſtill. Als ſie näher ans Land kamen, begegneten ihnen Fiſcher, die ihre Netze auf die Nacht auswerfen wollten. Sie riefen Antonino an und neckten Laurella. Keins ſah auf oder erwiederte ein Wort.
Die Sonne ſtand noch ziemlich hoch über Pro¬ cida, als ſie die Marine erreichten, Laurella ſchüt¬ telte ihr Röckchen, das faſt völlig überm Meer ge¬ trocknet war, und ſprang ans Land. Die alte ſpin¬ nende Frau, die ſie ſchon am Morgen hatte abfahren ſehen, ſtand wieder auf dem Dach. Was haſt du an der Hand, Tonino? rief ſie hinunter. Jeſus Chriſtus, die Barke ſchwimmt ja in Blut!
's iſt nichts, Commare, erwiederte der Burſch. Ich riß mich an einem Nagel, der zu weit vorſah. Morgen iſt's vorbei. Das verwünſchte Blut iſt nur
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den Boden der Barke und bemerkte jetzt das Blut.
Sie warf einen raſchen Blick nach der Hand, die,
als ſei ſie unverwundet, das Ruder führte. Da,
ſagte ſie und reichte ihm ihr Tuch. Er ſchüttelte
den Kopf und ruderte vorwärts. Sie ſtand endlich
auf, trat zu ihm und band ihm das Tuch feſt um
die tiefe Wunde. Darauf nahm ſie ihm, ſo viel er
auch abwehrte, das eine Ruder aus der Hand und
ſetzte ſich ihm gegenüber, doch ohne ihn anzuſehn,
feſt auf das Ruder blickend, das vom Blut geröthet
war, und mit kräftigen Stößen die Barke forttrei¬
bend. Sie waren beide blaß und ſtill. Als ſie näher
ans Land kamen, begegneten ihnen Fiſcher, die ihre
Netze auf die Nacht auswerfen wollten. Sie riefen
Antonino an und neckten Laurella. Keins ſah auf
oder erwiederte ein Wort.
Die Sonne ſtand noch ziemlich hoch über Pro¬
cida, als ſie die Marine erreichten, Laurella ſchüt¬
telte ihr Röckchen, das faſt völlig überm Meer ge¬
trocknet war, und ſprang ans Land. Die alte ſpin¬
nende Frau, die ſie ſchon am Morgen hatte abfahren
ſehen, ſtand wieder auf dem Dach. Was haſt du an
der Hand, Tonino? rief ſie hinunter. Jeſus Chriſtus,
die Barke ſchwimmt ja in Blut!
's iſt nichts, Commare, erwiederte der Burſch.
Ich riß mich an einem Nagel, der zu weit vorſah.
Morgen iſt's vorbei. Das verwünſchte Blut iſt nur
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/127>, abgerufen am 25.07.2024.
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