Du könntest aber freundlich sein zu Jedermann. Tanzen und singen mögen Andere, denen das Leben leichter ist. Aber ein gutes Wort geben schickt sich auch für einen Betrübten.
Sie sah vor sich nieder und zog die Brauen dichter zusammen, als wollte sie ihre schwarzen Augen darunter verstecken. Eine Weile fuhren sie schweigend dahin. Die Sonne stand nun prächtig über dem Ge¬ birg, die Spitze des Vesuv ragte über die Wolken¬ schicht heraus, die noch den Fuß umzogen hielt, und die Häuser auf der Ebene von Sorrent blinkten weiß aus den grünen Orangengärten hervor.
Hat jener Maler nichts wieder von sich hören lassen, Laurella, jener Neapolitaner, der dich zur Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.
Sie schüttelte den Kopf.
Er kam damals, ein Bild von dir zu machen. Warum hast du's ihm abgeschlagen?
Wozu wollt' er es nur? Es sind andere schöner als ich. Und dann -- wer weiß, was er damit ge¬ trieben hätte. Er hätte mich damit verzaubern kön¬ nen und meine Seele beschädigen, oder mich gar zu Tode bringen, sagte die Mutter.
Glaube nicht so sündliche Dinge, sprach der Pfarrer ernsthaft. Bist du nicht immer in Gottes Hand, ohne dessen Willen dir kein Haar vom Haupte fällt? Und soll ein Mensch mit so einem Bild in
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Du könnteſt aber freundlich ſein zu Jedermann. Tanzen und ſingen mögen Andere, denen das Leben leichter iſt. Aber ein gutes Wort geben ſchickt ſich auch für einen Betrübten.
Sie ſah vor ſich nieder und zog die Brauen dichter zuſammen, als wollte ſie ihre ſchwarzen Augen darunter verſtecken. Eine Weile fuhren ſie ſchweigend dahin. Die Sonne ſtand nun prächtig über dem Ge¬ birg, die Spitze des Veſuv ragte über die Wolken¬ ſchicht heraus, die noch den Fuß umzogen hielt, und die Häuſer auf der Ebene von Sorrent blinkten weiß aus den grünen Orangengärten hervor.
Hat jener Maler nichts wieder von ſich hören laſſen, Laurella, jener Neapolitaner, der dich zur Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.
Sie ſchüttelte den Kopf.
Er kam damals, ein Bild von dir zu machen. Warum haſt du's ihm abgeſchlagen?
Wozu wollt' er es nur? Es ſind andere ſchöner als ich. Und dann — wer weiß, was er damit ge¬ trieben hätte. Er hätte mich damit verzaubern kön¬ nen und meine Seele beſchädigen, oder mich gar zu Tode bringen, ſagte die Mutter.
Glaube nicht ſo ſündliche Dinge, ſprach der Pfarrer ernſthaft. Biſt du nicht immer in Gottes Hand, ohne deſſen Willen dir kein Haar vom Haupte fällt? Und ſoll ein Menſch mit ſo einem Bild in
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Du könnteſt aber freundlich ſein zu Jedermann.
Tanzen und ſingen mögen Andere, denen das Leben
leichter iſt. Aber ein gutes Wort geben ſchickt ſich
auch für einen Betrübten.
Sie ſah vor ſich nieder und zog die Brauen
dichter zuſammen, als wollte ſie ihre ſchwarzen Augen
darunter verſtecken. Eine Weile fuhren ſie ſchweigend
dahin. Die Sonne ſtand nun prächtig über dem Ge¬
birg, die Spitze des Veſuv ragte über die Wolken¬
ſchicht heraus, die noch den Fuß umzogen hielt, und
die Häuſer auf der Ebene von Sorrent blinkten
weiß aus den grünen Orangengärten hervor.
Hat jener Maler nichts wieder von ſich hören
laſſen, Laurella, jener Neapolitaner, der dich zur
Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.
Sie ſchüttelte den Kopf.
Er kam damals, ein Bild von dir zu machen.
Warum haſt du's ihm abgeſchlagen?
Wozu wollt' er es nur? Es ſind andere ſchöner
als ich. Und dann — wer weiß, was er damit ge¬
trieben hätte. Er hätte mich damit verzaubern kön¬
nen und meine Seele beſchädigen, oder mich gar zu
Tode bringen, ſagte die Mutter.
Glaube nicht ſo ſündliche Dinge, ſprach der
Pfarrer ernſthaft. Biſt du nicht immer in Gottes
Hand, ohne deſſen Willen dir kein Haar vom Haupte
fällt? Und ſoll ein Menſch mit ſo einem Bild in
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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/109>, abgerufen am 25.07.2024.
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