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Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht, eine Forderung der Gerechtigkeit! Frauenstimmrecht, eine Forderung sozialer Notwendigkeit! Frauenstimmrecht, eine Forderung der Kultur! München, 1907.

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so bezeichnend sagt: "Ehe: so heisse ich den Willen, zu
Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es
schufen. Ehrfurcht für einander nenne ich Ehe als vor
den Wollenden eines solchen Willens."

Unser heutiges Familienrecht bedeutet für die Frau
aber nicht nur pekuniäre Abhängigkeit, nicht nur Verzicht
auf des Recht, über ihre eigene Persönlichkeit zu bestimmen,
sondern auch Verzicht auf das Recht, über die Erziehung
ihrer Kinder mitzuentscheiden. Der Mutterberuf wird von
seiten des Mannes als höchster Beruf der Frau hingestellt,
aber er scheut sich nicht, ihr gesetzlich die Autorität zu
rauben, die sie in stand setzt, ihn auszuüben.

Der Männerstaat lässt es sich angelegen sein, für die
Ausbildung der männlichen Jugend sowohl in geistiger wie
in körperlicher Beziehung Sorge zu tragen. Städtische und
staatliche Schulen, Spielplätze, Badeanstalten, überhaupt alle
Einrichtungen eines modernen Staates für die Jugend
kommen in erster Linie den Knaben zugute. Preussen
verausgabte alljährlich von den für höheres Schulwesen
ausgeworfenen Summen 96 1/2 % Für Knabenbildung und
3 1/2 % für Mädchenbildung. Die Volksschulen für Mäd-
chen bleiben in ihren Leistungen weit hinter den Knaben-
schulen zurück, ausserdem werden diese staatlicherseits
nach der Schulzeit häufig durch Fortbildungsschulen ergänzt;
von wenigen Ausnahmen abgesehen, erscheint dem Männer-
staat eine weitere Ausbildung für Mädchen überflüssig.
So wird von vornherein der weiblichen Jugend jede Möglich-
keit genommen, unter gleichen Bedingungen sich gleichwertige
Kenntnisse und körperliche Ausbildung zu verschaffen.

Erst wenn Frauen sich durch ihre politische Gleich-
berechtigung Gehör auf allen Gebieten erzwungen haben,
werden der männlichen und weiblichen Jugend gleiche
Möglichkeiten zu einer gleichwertigen Vor- und Ausbildung
geschaffen werden.

Gattinnen, Mütter, fordert das Frauenstimmrecht und
werdet ihr selbst die Früchte eures Kampfes nicht mehr
ernten, so denkt an eure Kinder!

so bezeichnend sagt: „Ehe: so heisse ich den Willen, zu
Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es
schufen. Ehrfurcht für einander nenne ich Ehe als vor
den Wollenden eines solchen Willens.“

Unser heutiges Familienrecht bedeutet für die Frau
aber nicht nur pekuniäre Abhängigkeit, nicht nur Verzicht
auf des Recht, über ihre eigene Persönlichkeit zu bestimmen,
sondern auch Verzicht auf das Recht, über die Erziehung
ihrer Kinder mitzuentscheiden. Der Mutterberuf wird von
seiten des Mannes als höchster Beruf der Frau hingestellt,
aber er scheut sich nicht, ihr gesetzlich die Autorität zu
rauben, die sie in stand setzt, ihn auszuüben.

Der Männerstaat lässt es sich angelegen sein, für die
Ausbildung der männlichen Jugend sowohl in geistiger wie
in körperlicher Beziehung Sorge zu tragen. Städtische und
staatliche Schulen, Spielplätze, Badeanstalten, überhaupt alle
Einrichtungen eines modernen Staates für die Jugend
kommen in erster Linie den Knaben zugute. Preussen
verausgabte alljährlich von den für höheres Schulwesen
ausgeworfenen Summen 96 ½ % Für Knabenbildung und
3 ½ % für Mädchenbildung. Die Volksschulen für Mäd-
chen bleiben in ihren Leistungen weit hinter den Knaben-
schulen zurück, ausserdem werden diese staatlicherseits
nach der Schulzeit häufig durch Fortbildungsschulen ergänzt;
von wenigen Ausnahmen abgesehen, erscheint dem Männer-
staat eine weitere Ausbildung für Mädchen überflüssig.
So wird von vornherein der weiblichen Jugend jede Möglich-
keit genommen, unter gleichen Bedingungen sich gleichwertige
Kenntnisse und körperliche Ausbildung zu verschaffen.

Erst wenn Frauen sich durch ihre politische Gleich-
berechtigung Gehör auf allen Gebieten erzwungen haben,
werden der männlichen und weiblichen Jugend gleiche
Möglichkeiten zu einer gleichwertigen Vor- und Ausbildung
geschaffen werden.

Gattinnen, Mütter, fordert das Frauenstimmrecht und
werdet ihr selbst die Früchte eures Kampfes nicht mehr
ernten, so denkt an eure Kinder!

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-12-08T13:55:37Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht, eine Forderung der Gerechtigkeit! Frauenstimmrecht, eine Forderung sozialer Notwendigkeit! Frauenstimmrecht, eine Forderung der Kultur! München, 1907, S. [10]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heymann_frauenstimmrecht_1907/10>, abgerufen am 24.11.2024.