Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918].

Bild:
<< vorherige Seite

sie her anschaute wie liebe Wesen, die sie beinahe verloren hätte und nun wieder besaß, kam plötzlich Tante Sonja aus einem Seitenwege ihr entgegen. Und Tante Sonja, der die Tage in Burkahnen anfingen reichlich lang zu dünken, fragte: "Eh bien, ma chere enfant, bist du dir endlich darüber klar geworden, welch große Chance dir geboten wird?"

"Ja, vielleicht ist es wirklich eine große Chance," antwortete Dorothee, "aber," setzte sie hinzu und blickte hinaus in die Apfelbäume, als riefe sie die rosa Blüten zu Zeugen auf, "es ist doch unmöglich, daß ich dies alles hier verlasse."

"Folle que vous etes!" rief Tante Sonja, "Ich glaube wahrhaftig, wegen ein paar Apfelbäumen willst du hier bleiben, und du könntest doch den schönsten Garten der Welt besitzen."

"Aber er läge nicht in Burkahnen," antwortete Dorothee leise.

Den Absagebrief an den Marchese mußte Papa schreiben. "Aber mach ihn ja recht freundlich und nett," schärfte Dorothee ihm ein. Nachher, als er ihn ihr zu lesen gab, besann sie sich einen Augenblick und setzte dann in der feinen spitzen Handschrift jener Tage die Worte hinzu: "Ich möchte Ihnen noch einmal danken, Herr Marchese, daß Sie mir so viel Schönes schenken wollen - aber das ist es gerade, wovor ich mich fürchte - und es wäre vielleicht gar zu schön."

So hatte Dorothee über ihr Leben entschieden. Denn was nachher daraus wurde, war ja nur die weitere Folge dieses Entschlusses.

sie her anschaute wie liebe Wesen, die sie beinahe verloren hätte und nun wieder besaß, kam plötzlich Tante Sonja aus einem Seitenwege ihr entgegen. Und Tante Sonja, der die Tage in Burkahnen anfingen reichlich lang zu dünken, fragte: „Eh bien, ma chère enfant, bist du dir endlich darüber klar geworden, welch große Chance dir geboten wird?“

„Ja, vielleicht ist es wirklich eine große Chance,“ antwortete Dorothee, „aber,“ setzte sie hinzu und blickte hinaus in die Apfelbäume, als riefe sie die rosa Blüten zu Zeugen auf, „es ist doch unmöglich, daß ich dies alles hier verlasse.“

Folle que vous êtes!“ rief Tante Sonja, „Ich glaube wahrhaftig, wegen ein paar Apfelbäumen willst du hier bleiben, und du könntest doch den schönsten Garten der Welt besitzen.“

„Aber er läge nicht in Burkahnen,“ antwortete Dorothee leise.

Den Absagebrief an den Marchese mußte Papa schreiben. „Aber mach ihn ja recht freundlich und nett,“ schärfte Dorothee ihm ein. Nachher, als er ihn ihr zu lesen gab, besann sie sich einen Augenblick und setzte dann in der feinen spitzen Handschrift jener Tage die Worte hinzu: „Ich möchte Ihnen noch einmal danken, Herr Marchese, daß Sie mir so viel Schönes schenken wollen – aber das ist es gerade, wovor ich mich fürchte – und es wäre vielleicht gar zu schön.“

So hatte Dorothee über ihr Leben entschieden. Denn was nachher daraus wurde, war ja nur die weitere Folge dieses Entschlusses.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0106" n="104"/>
sie her anschaute wie liebe Wesen, die sie beinahe verloren hätte und nun wieder besaß, kam plötzlich Tante Sonja aus einem Seitenwege ihr entgegen. Und Tante Sonja, der die Tage in Burkahnen anfingen reichlich lang zu dünken, fragte: &#x201E;<hi rendition="#aq">Eh bien, ma chère enfant</hi>, bist du dir endlich darüber klar geworden, welch große Chance dir geboten wird?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ja, vielleicht ist es wirklich eine große Chance,&#x201C; antwortete Dorothee, &#x201E;aber,&#x201C; setzte sie hinzu und blickte hinaus in die Apfelbäume, als riefe sie die rosa Blüten zu Zeugen auf, &#x201E;es ist doch unmöglich, daß ich dies alles hier verlasse.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#aq">Folle que vous êtes!</hi>&#x201C; rief Tante Sonja, &#x201E;Ich glaube wahrhaftig, wegen ein paar Apfelbäumen willst du hier bleiben, und du könntest doch den schönsten Garten der Welt besitzen.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Aber er läge nicht in Burkahnen,&#x201C; antwortete Dorothee leise.</p>
        <p>Den Absagebrief an den Marchese mußte Papa schreiben. &#x201E;Aber mach ihn ja recht freundlich und nett,&#x201C; schärfte Dorothee ihm ein. Nachher, als er ihn ihr zu lesen gab, besann sie sich einen Augenblick und setzte dann in der feinen spitzen Handschrift jener Tage die Worte hinzu: &#x201E;Ich möchte Ihnen noch einmal danken, Herr Marchese, daß Sie mir so viel Schönes schenken wollen &#x2013; aber das ist es gerade, wovor ich mich fürchte &#x2013; und es wäre vielleicht gar zu schön.&#x201C;</p>
        <p>So hatte Dorothee über ihr Leben entschieden. Denn was nachher daraus wurde, war ja nur die weitere Folge dieses Entschlusses.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0106] sie her anschaute wie liebe Wesen, die sie beinahe verloren hätte und nun wieder besaß, kam plötzlich Tante Sonja aus einem Seitenwege ihr entgegen. Und Tante Sonja, der die Tage in Burkahnen anfingen reichlich lang zu dünken, fragte: „Eh bien, ma chère enfant, bist du dir endlich darüber klar geworden, welch große Chance dir geboten wird?“ „Ja, vielleicht ist es wirklich eine große Chance,“ antwortete Dorothee, „aber,“ setzte sie hinzu und blickte hinaus in die Apfelbäume, als riefe sie die rosa Blüten zu Zeugen auf, „es ist doch unmöglich, daß ich dies alles hier verlasse.“ „Folle que vous êtes!“ rief Tante Sonja, „Ich glaube wahrhaftig, wegen ein paar Apfelbäumen willst du hier bleiben, und du könntest doch den schönsten Garten der Welt besitzen.“ „Aber er läge nicht in Burkahnen,“ antwortete Dorothee leise. Den Absagebrief an den Marchese mußte Papa schreiben. „Aber mach ihn ja recht freundlich und nett,“ schärfte Dorothee ihm ein. Nachher, als er ihn ihr zu lesen gab, besann sie sich einen Augenblick und setzte dann in der feinen spitzen Handschrift jener Tage die Worte hinzu: „Ich möchte Ihnen noch einmal danken, Herr Marchese, daß Sie mir so viel Schönes schenken wollen – aber das ist es gerade, wovor ich mich fürchte – und es wäre vielleicht gar zu schön.“ So hatte Dorothee über ihr Leben entschieden. Denn was nachher daraus wurde, war ja nur die weitere Folge dieses Entschlusses.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-15T09:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-15T09:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-15T09:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/106
Zitationshilfe: Heyking, Elisabeth von: Zwei Erzählungen. Leipzig, [1918], S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyking_erzaehlungen_1918/106>, abgerufen am 24.11.2024.