Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.niemals, den Betrag der letztern von der Summe der erstern vollzählig abzuschreiben. Jeder, was er verschuldet, darf daher mit Hoffnung in die Zukunft sehen, und die Hoffnung wird um so klarer und verheißender sich enthüllen, je aufrichtiger die Reue war, welche der Büßer am Throne der Allwissenheit niederlegte. Sie sind ein freundlicher Tröster, sprach Williams und drückte dem Jünglinge die Hand. -- Glauben Sie indeß, daß die Selbstpeinigung die Gnadenwirkung unserer Buße erhöhe? Auf die Selbstpeinigung gebe ich zwar nichts, indem sie für die Besserung nicht Gewähr leistet, auf welche es allein zur Erlangung des Heils ankommt. Entweder ist die Selbstpeinigung ein frommer stumpfer Wahn, oder ein trügendes Spiel frevelhafter Eitelkeit, welche genug zu thun glaubt, wenn sie die äußeren Zeichen recht auffallend erscheinen läßt, ohne das sündenverpestete Innere durch redliche, aber nicht in die Augen fallende Bestrebung zu heilen. Die Kasteiung ist dem wahren Christenthume auch fremd, welches rein geistig seine Anforderungen nur an Verstand und Gemüth richtet; dagegen ist sie stets im Gefolge eines grobsinnlichen Cultus, welcher die Schale für den Kern giebt. Der ascetische Mönch, der halbwahnsinnige Fakir, der betrügende Bonze geißeln ihr Fleisch, betten sich auf Lager von spitzigen Nägeln und tragen glühende Kohlen auf ihrem Scheitel. Der ächte Christ kennt nur Ein Läuterungsfeuer, -- sein niemals, den Betrag der letztern von der Summe der erstern vollzählig abzuschreiben. Jeder, was er verschuldet, darf daher mit Hoffnung in die Zukunft sehen, und die Hoffnung wird um so klarer und verheißender sich enthüllen, je aufrichtiger die Reue war, welche der Büßer am Throne der Allwissenheit niederlegte. Sie sind ein freundlicher Tröster, sprach Williams und drückte dem Jünglinge die Hand. — Glauben Sie indeß, daß die Selbstpeinigung die Gnadenwirkung unserer Buße erhöhe? Auf die Selbstpeinigung gebe ich zwar nichts, indem sie für die Besserung nicht Gewähr leistet, auf welche es allein zur Erlangung des Heils ankommt. Entweder ist die Selbstpeinigung ein frommer stumpfer Wahn, oder ein trügendes Spiel frevelhafter Eitelkeit, welche genug zu thun glaubt, wenn sie die äußeren Zeichen recht auffallend erscheinen läßt, ohne das sündenverpestete Innere durch redliche, aber nicht in die Augen fallende Bestrebung zu heilen. Die Kasteiung ist dem wahren Christenthume auch fremd, welches rein geistig seine Anforderungen nur an Verstand und Gemüth richtet; dagegen ist sie stets im Gefolge eines grobsinnlichen Cultus, welcher die Schale für den Kern giebt. Der ascetische Mönch, der halbwahnsinnige Fakir, der betrügende Bonze geißeln ihr Fleisch, betten sich auf Lager von spitzigen Nägeln und tragen glühende Kohlen auf ihrem Scheitel. Der ächte Christ kennt nur Ein Läuterungsfeuer, — sein <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0033"/> niemals, den Betrag der letztern von der Summe der erstern vollzählig abzuschreiben. Jeder, was er verschuldet, darf daher mit Hoffnung in die Zukunft sehen, und die Hoffnung wird um so klarer und verheißender sich enthüllen, je aufrichtiger die Reue war, welche der Büßer am Throne der Allwissenheit niederlegte.</p><lb/> <p>Sie sind ein freundlicher Tröster, sprach Williams und drückte dem Jünglinge die Hand. — Glauben Sie indeß, daß die <hi rendition="#g">Selbstpeinigung</hi> die Gnadenwirkung unserer Buße erhöhe?</p><lb/> <p>Auf die Selbstpeinigung gebe ich zwar nichts, indem sie für die <hi rendition="#g">Besserung</hi> nicht Gewähr leistet, auf welche es allein zur Erlangung des Heils ankommt. Entweder ist die Selbstpeinigung ein frommer stumpfer Wahn, oder ein trügendes Spiel frevelhafter Eitelkeit, welche genug zu thun glaubt, wenn sie die äußeren Zeichen recht auffallend erscheinen läßt, ohne das sündenverpestete Innere durch redliche, aber nicht in die Augen fallende Bestrebung zu heilen. Die Kasteiung ist dem wahren Christenthume auch fremd, welches rein geistig seine Anforderungen nur an Verstand und Gemüth richtet; dagegen ist sie stets im Gefolge eines grobsinnlichen Cultus, welcher die Schale für den Kern giebt. Der ascetische Mönch, der halbwahnsinnige Fakir, der betrügende Bonze geißeln ihr Fleisch, betten sich auf Lager von spitzigen Nägeln und tragen glühende Kohlen auf ihrem Scheitel. Der ächte Christ kennt nur Ein Läuterungsfeuer, — sein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
niemals, den Betrag der letztern von der Summe der erstern vollzählig abzuschreiben. Jeder, was er verschuldet, darf daher mit Hoffnung in die Zukunft sehen, und die Hoffnung wird um so klarer und verheißender sich enthüllen, je aufrichtiger die Reue war, welche der Büßer am Throne der Allwissenheit niederlegte.
Sie sind ein freundlicher Tröster, sprach Williams und drückte dem Jünglinge die Hand. — Glauben Sie indeß, daß die Selbstpeinigung die Gnadenwirkung unserer Buße erhöhe?
Auf die Selbstpeinigung gebe ich zwar nichts, indem sie für die Besserung nicht Gewähr leistet, auf welche es allein zur Erlangung des Heils ankommt. Entweder ist die Selbstpeinigung ein frommer stumpfer Wahn, oder ein trügendes Spiel frevelhafter Eitelkeit, welche genug zu thun glaubt, wenn sie die äußeren Zeichen recht auffallend erscheinen läßt, ohne das sündenverpestete Innere durch redliche, aber nicht in die Augen fallende Bestrebung zu heilen. Die Kasteiung ist dem wahren Christenthume auch fremd, welches rein geistig seine Anforderungen nur an Verstand und Gemüth richtet; dagegen ist sie stets im Gefolge eines grobsinnlichen Cultus, welcher die Schale für den Kern giebt. Der ascetische Mönch, der halbwahnsinnige Fakir, der betrügende Bonze geißeln ihr Fleisch, betten sich auf Lager von spitzigen Nägeln und tragen glühende Kohlen auf ihrem Scheitel. Der ächte Christ kennt nur Ein Läuterungsfeuer, — sein
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Zitationshilfe: | Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/33>, abgerufen am 16.07.2024. |