Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.Neuen sehr zu schaden; wenigstens so lange das Neue selbst Als die Eisenbahnzeit über Europa kam, gab es Praktiker, In die Kategorie solcher voreisenbahnlicher "praktischer" "Zugegeben, dass die jetzigen Zustände der Juden an Darauf ist meine Antwort: Von der künstlichen Einrichtung Ist das Bedürfniss der Juden, in bessere Zustände zu gelangen, Neuen sehr zu schaden; wenigstens so lange das Neue selbst Als die Eisenbahnzeit über Europa kam, gab es Praktiker, In die Kategorie solcher voreisenbahnlicher „praktischer“ „Zugegeben, dass die jetzigen Zustände der Juden an Darauf ist meine Antwort: Von der künstlichen Einrichtung Ist das Bedürfniss der Juden, in bessere Zustände zu gelangen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0030"/> Neuen sehr zu schaden; wenigstens so lange das Neue selbst<lb/> nicht stark genug ist, die Praktiker mit ihren morschen Vorstellungen<lb/> über den Haufen zu werfen.<lb/></p> <p>Als die Eisenbahnzeit über Europa kam, gab es Praktiker,<lb/> welche den Bau gewisser Linien für thöricht erklärten, „weil<lb/> dort nicht einmal die Postkutsche genug Passagiere habe“. Man<lb/> wusste damals die Wahrheit noch nicht, die uns heute als eine<lb/> kindlich einfache vorkommt: dass nicht die Reisenden die Bahn<lb/> hervorrufen, sondern umgekehrt die Bahn die Reisenden hervorruft,<lb/> wobei freilich das schlummernde Bedürfniss vorausgesetzt<lb/> werden muss.<lb/></p> <p>In die Kategorie solcher voreisenbahnlicher „praktischer“<lb/> Bedenken wird es gehören, wenn Manche sich nicht vorstellen<lb/> können, wie in dem neuen, erst noch zu gewinnenden, erst<lb/> noch zu cultivirenden Lande der wirthschaftliche Verkehr der<lb/> Ankömmlinge beschaffen sein soll. Ein Praktiker wird also beiläufig<lb/> Folgendes sagen:<lb/></p> <p>„Zugegeben, dass die jetzigen Zustände der Juden an<lb/> vielen Orten unhaltbar sind und immer schlechter werden<lb/> müssen; zugegeben, dass die Auswanderungslust entsteht; zugegeben<lb/> sogar, dass die Juden nach dem neuen Lande wandern,<lb/> wie und was werden sie dort verdienen? Wovon werden sie<lb/> leben? Der Verkehr vieler Menschen lässt sich doch nicht<lb/> künstlich von einem Tag auf den andern einrichten.“<lb/></p> <p>Darauf ist meine Antwort: Von der künstlichen Einrichtung<lb/> eines Verkehrs ist gar nicht die Rede, und am allerwenigsten<lb/> soll das von einem Tag auf den anderen gemacht<lb/> werden. Wenn man aber den Verkehr auch nicht einzurichten<lb/> vermag, anregen kann man ihn. Wodurch? Durch das Organ<lb/> eines Bedürfnisses. Das Bedürfniss will erkannt, das Organ<lb/> will geschaffen werden, der Verkehr macht sich dann von selbst.<lb/></p> <p>Ist das Bedürfniss der Juden, in bessere Zustände zu gelangen,<lb/> ein wahres, tiefes; ist das zu schaffende Organ dieses<lb/> Bedürfnisses, die Jewish Company, hinreichend mächtig: so<lb/> muss der Verkehr im neuen Lande sich in Fülle einstellen.<lb/> Das liegt freilich in der Zukunft, wie die Entwicklung des<lb/> Bahnverkehrs für die Menschen der Dreissiger Jahre in der<lb/> Zukunft lag. Die Eisenbahnen wurden dennoch gebaut. Man<lb/> ist glücklicherweise über die Bedenken von Praktikern der<lb/> Postkutsche hinweggegangen.<lb/></p> <figure/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Neuen sehr zu schaden; wenigstens so lange das Neue selbst
nicht stark genug ist, die Praktiker mit ihren morschen Vorstellungen
über den Haufen zu werfen.
Als die Eisenbahnzeit über Europa kam, gab es Praktiker,
welche den Bau gewisser Linien für thöricht erklärten, „weil
dort nicht einmal die Postkutsche genug Passagiere habe“. Man
wusste damals die Wahrheit noch nicht, die uns heute als eine
kindlich einfache vorkommt: dass nicht die Reisenden die Bahn
hervorrufen, sondern umgekehrt die Bahn die Reisenden hervorruft,
wobei freilich das schlummernde Bedürfniss vorausgesetzt
werden muss.
In die Kategorie solcher voreisenbahnlicher „praktischer“
Bedenken wird es gehören, wenn Manche sich nicht vorstellen
können, wie in dem neuen, erst noch zu gewinnenden, erst
noch zu cultivirenden Lande der wirthschaftliche Verkehr der
Ankömmlinge beschaffen sein soll. Ein Praktiker wird also beiläufig
Folgendes sagen:
„Zugegeben, dass die jetzigen Zustände der Juden an
vielen Orten unhaltbar sind und immer schlechter werden
müssen; zugegeben, dass die Auswanderungslust entsteht; zugegeben
sogar, dass die Juden nach dem neuen Lande wandern,
wie und was werden sie dort verdienen? Wovon werden sie
leben? Der Verkehr vieler Menschen lässt sich doch nicht
künstlich von einem Tag auf den andern einrichten.“
Darauf ist meine Antwort: Von der künstlichen Einrichtung
eines Verkehrs ist gar nicht die Rede, und am allerwenigsten
soll das von einem Tag auf den anderen gemacht
werden. Wenn man aber den Verkehr auch nicht einzurichten
vermag, anregen kann man ihn. Wodurch? Durch das Organ
eines Bedürfnisses. Das Bedürfniss will erkannt, das Organ
will geschaffen werden, der Verkehr macht sich dann von selbst.
Ist das Bedürfniss der Juden, in bessere Zustände zu gelangen,
ein wahres, tiefes; ist das zu schaffende Organ dieses
Bedürfnisses, die Jewish Company, hinreichend mächtig: so
muss der Verkehr im neuen Lande sich in Fülle einstellen.
Das liegt freilich in der Zukunft, wie die Entwicklung des
Bahnverkehrs für die Menschen der Dreissiger Jahre in der
Zukunft lag. Die Eisenbahnen wurden dennoch gebaut. Man
ist glücklicherweise über die Bedenken von Praktikern der
Postkutsche hinweggegangen.
[Abbildung]
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Austrian Literature Online: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-06T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |