Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.Wirkung des Antisemitismus. Der auf uns ausgeübte Druck macht uns nicht besser. "Doch!" werden weichmüthige Schwärmer sagen, "doch, Brauche ich wirklich erst noch zu beweisen, was das für Ich sprach schon von unserer "Assimilirung". Ich sage So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht, Wir sind ein Volk - der Feind macht uns ohne unseren Es wäre hier eigentlich schon der Platz, von unserem Wirkung des Antisemitismus. Der auf uns ausgeübte Druck macht uns nicht besser. „Doch!“ werden weichmüthige Schwärmer sagen, „doch, Brauche ich wirklich erst noch zu beweisen, was das für Ich sprach schon von unserer „Assimilirung“. Ich sage So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht, Wir sind ein Volk – der Feind macht uns ohne unseren Es wäre hier eigentlich schon der Platz, von unserem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0026"/> <div n="2"> <head>Wirkung des Antisemitismus.<lb/></head> <p>Der auf uns ausgeübte Druck macht uns nicht besser.<lb/> Wir sind nicht anders als die anderen Menschen. Wir lieben<lb/> unsere Feinde nicht, das ist ganz wahr. Aber nur wer sich<lb/> selbst zu überwinden vermag, darf es uns vorwerfen. Der Druck<lb/> erzeugt bei uns natürlich eine Feindseligkeit gegen unsere Bedränger<lb/> – und unsere Feindseligkeit steigert wieder den Druck.<lb/> Aus diesem Kreislauf herauszukommen, ist unmöglich.<lb/></p> <p>„Doch!“ werden weichmüthige Schwärmer sagen, „doch,<lb/> es ist möglich! Und zwar durch die herbeizuführende Güte der<lb/> Menschen.“<lb/></p> <p>Brauche ich wirklich erst noch zu beweisen, was das für<lb/> eine sentimentale Faselei ist? Wer eine Besserung der Zustände<lb/> auf die Güte aller Menschen gründen wollte, der schriebe allerdings<lb/> eine Utopie!<lb/></p> <p>Ich sprach schon von unserer „Assimilirung“. Ich sage<lb/> keinen Augenblick, dass ich sie wünsche. Unsere Volkspersönlichkeit<lb/> ist geschichtlich zu berühmt und trotz aller Erniedrigungen<lb/> zu hoch, als dass ihr Untergang zu wünschen wäre.<lb/> Aber vielleicht könnten wir überall in den uns umgebenden<lb/> Völkern spurlos aufgehen, wenn man uns nur zwei Generationen<lb/> hindurch in Ruhe liesse. Man wird uns nicht in Ruhe lassen.<lb/> Nach kurzen Perioden der Duldsamkeit erwacht immer und<lb/> immer wieder die Feindseligkeit gegen uns. Unser Wohlergehen<lb/> scheint etwas Aufreizendes zu enthalten, weil die Welt seit<lb/> vielen Jahrhunderten gewohnt war, in uns die Verächtlichsten<lb/> unter den Armen zu sehen. Dabei bemerkt man aus Unwissenheit<lb/> oder Engherzigkeit nicht, dass unser Wohlergehen uns als Juden<lb/> schwächt und unsere Besonderheiten auslöscht. Nur der Druck<lb/> presst uns wieder an den alten Stamm, nur der Hass unserer<lb/> Umgebung macht uns wieder zu Fremden.<lb/></p> <p>So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht,<lb/> eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit.<lb/></p> <p>Wir sind ein Volk – der Feind macht uns ohne unseren<lb/> Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war. In der<lb/> Bedrängniss stehen wir zusammen und da entdecken wir plötzlich<lb/> unsere Kraft. Ja, wir haben die Kraft, einen Staat, und<lb/> zwar einen Musterstaat zu bilden. Wir haben alle menschlichen<lb/> und sachlichen Mittel, die dazu nöthig sind.<lb/></p> <p>Es wäre hier eigentlich schon der Platz, von unserem<lb/> „Menschenmaterial“ zu sprechen, wie der etwas rohe Ausdruck<lb/> lautet. Aber vorher müssen die Hauptzüge des Planes bekannt<lb/> sein, auf den ja Alles zu beziehen ist.<lb/></p> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Wirkung des Antisemitismus.
Der auf uns ausgeübte Druck macht uns nicht besser.
Wir sind nicht anders als die anderen Menschen. Wir lieben
unsere Feinde nicht, das ist ganz wahr. Aber nur wer sich
selbst zu überwinden vermag, darf es uns vorwerfen. Der Druck
erzeugt bei uns natürlich eine Feindseligkeit gegen unsere Bedränger
– und unsere Feindseligkeit steigert wieder den Druck.
Aus diesem Kreislauf herauszukommen, ist unmöglich.
„Doch!“ werden weichmüthige Schwärmer sagen, „doch,
es ist möglich! Und zwar durch die herbeizuführende Güte der
Menschen.“
Brauche ich wirklich erst noch zu beweisen, was das für
eine sentimentale Faselei ist? Wer eine Besserung der Zustände
auf die Güte aller Menschen gründen wollte, der schriebe allerdings
eine Utopie!
Ich sprach schon von unserer „Assimilirung“. Ich sage
keinen Augenblick, dass ich sie wünsche. Unsere Volkspersönlichkeit
ist geschichtlich zu berühmt und trotz aller Erniedrigungen
zu hoch, als dass ihr Untergang zu wünschen wäre.
Aber vielleicht könnten wir überall in den uns umgebenden
Völkern spurlos aufgehen, wenn man uns nur zwei Generationen
hindurch in Ruhe liesse. Man wird uns nicht in Ruhe lassen.
Nach kurzen Perioden der Duldsamkeit erwacht immer und
immer wieder die Feindseligkeit gegen uns. Unser Wohlergehen
scheint etwas Aufreizendes zu enthalten, weil die Welt seit
vielen Jahrhunderten gewohnt war, in uns die Verächtlichsten
unter den Armen zu sehen. Dabei bemerkt man aus Unwissenheit
oder Engherzigkeit nicht, dass unser Wohlergehen uns als Juden
schwächt und unsere Besonderheiten auslöscht. Nur der Druck
presst uns wieder an den alten Stamm, nur der Hass unserer
Umgebung macht uns wieder zu Fremden.
So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht,
eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit.
Wir sind ein Volk – der Feind macht uns ohne unseren
Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war. In der
Bedrängniss stehen wir zusammen und da entdecken wir plötzlich
unsere Kraft. Ja, wir haben die Kraft, einen Staat, und
zwar einen Musterstaat zu bilden. Wir haben alle menschlichen
und sachlichen Mittel, die dazu nöthig sind.
Es wäre hier eigentlich schon der Platz, von unserem
„Menschenmaterial“ zu sprechen, wie der etwas rohe Ausdruck
lautet. Aber vorher müssen die Hauptzüge des Planes bekannt
sein, auf den ja Alles zu beziehen ist.
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Zitationshilfe: | Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/26>, abgerufen am 06.07.2024. |