Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite
Erste Mittheilung.
Über successive Lichtinduction.

(Vorgelegt in der Sitzung am 8. Juni 1872.)

§. 1.
Vorbemerkungen.

Als ich vor einigen Jahren an die Herausgabe des zweiten
Abschnittes einer monographischen Arbeit "über das binoculare
Sehen" 1) gehen wollte, welcher Abschnitt die binocularen Licht-
empfindungen zu behandeln hat, kam ich sehr bald zu der
Überzeugung, daß der Erfolg meiner Bemühungen ein sehr
zweifelhafter sein müsse, wenn ich nicht zuvor die jetzt herr-
schenden Theorien der Lichtempfindung überhaupt einer ausführ-
lichen Kritik unterworfen hätte. Da diese Kritik für mich zu-
gleich den Versuch einer Widerlegung vieler, jetzt fast allgemein
verbreiteter Ansichten mit sich gebracht hätte und deshalb eine
ziemlich umfassende Arbeit geworden wäre, so unterließ ich sie
damals gänzlich, womit mir freilich auch die Fortsetzung der
erwähnten Monographie vorerst unmöglich gemacht war.

Seitdem hat mich die fortgesetzte Beschäftigung mit physio-
logischen und psychologischen Fragen immer mehr in der Über-
zeugung bestärkt, daß jene moderne Richtung der Sinnenphysio-
logie, welche insbesondere in der "Physiologischen Optik" von
Helmholtz den scharfsinnigsten Ausdruck gefunden hat, uns
nicht zur Wahrheit führt, und daß, wer der Forschung auf diesem
Gebiete neue Wege erschliessen will, sich zuerst freimachen muß
von den jetzt herrschenden Theorien.

Die Unzulänglichkeit der letzteren hat meiner Ansicht nach
ihren wesentlichsten Grund in der spiritualistischen oder, wie

1) Die Lehre vom binocularen Sehen. Leipzig 1868.
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 1
Erste Mittheilung.
Über successive Lichtinduction.

(Vorgelegt in der Sitzung am 8. Juni 1872.)

§. 1.
Vorbemerkungen.

Als ich vor einigen Jahren an die Herausgabe des zweiten
Abschnittes einer monographischen Arbeit „über das binoculare
Sehen“ 1) gehen wollte, welcher Abschnitt die binocularen Licht-
empfindungen zu behandeln hat, kam ich sehr bald zu der
Überzeugung, daß der Erfolg meiner Bemühungen ein sehr
zweifelhafter sein müsse, wenn ich nicht zuvor die jetzt herr-
schenden Theorien der Lichtempfindung überhaupt einer ausführ-
lichen Kritik unterworfen hätte. Da diese Kritik für mich zu-
gleich den Versuch einer Widerlegung vieler, jetzt fast allgemein
verbreiteter Ansichten mit sich gebracht hätte und deshalb eine
ziemlich umfassende Arbeit geworden wäre, so unterließ ich sie
damals gänzlich, womit mir freilich auch die Fortsetzung der
erwähnten Monographie vorerst unmöglich gemacht war.

Seitdem hat mich die fortgesetzte Beschäftigung mit physio-
logischen und psychologischen Fragen immer mehr in der Über-
zeugung bestärkt, daß jene moderne Richtung der Sinnenphysio-
logie, welche insbesondere in der „Physiologischen Optik“ von
Helmholtz den scharfsinnigsten Ausdruck gefunden hat, uns
nicht zur Wahrheit führt, und daß, wer der Forschung auf diesem
Gebiete neue Wege erschliessen will, sich zuerst freimachen muß
von den jetzt herrschenden Theorien.

Die Unzulänglichkeit der letzteren hat meiner Ansicht nach
ihren wesentlichsten Grund in der spiritualistischen oder, wie

1) Die Lehre vom binocularen Sehen. Leipzig 1868.
Hering, Lehre vom Lichtsinne. 1
<TEI>
  <text>
    <pb facs="#f0009" n="[1]"/>
    <body>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Erste Mittheilung.<lb/>
Über successive Lichtinduction.</hi> </head><lb/>
        <p> <hi rendition="#c">(Vorgelegt in der Sitzung am 8. Juni 1872.)</hi> </p><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 1.<lb/><hi rendition="#g">Vorbemerkungen.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">A</hi>ls ich vor einigen Jahren an die Herausgabe des zweiten<lb/>
Abschnittes einer monographischen Arbeit &#x201E;über das binoculare<lb/>
Sehen&#x201C; <note place="foot" n="1)">Die Lehre vom binocularen Sehen. Leipzig 1868.</note> gehen wollte, welcher Abschnitt die binocularen Licht-<lb/>
empfindungen zu behandeln hat, kam ich sehr bald zu der<lb/>
Überzeugung, daß der Erfolg meiner Bemühungen ein sehr<lb/>
zweifelhafter sein müsse, wenn ich nicht zuvor die jetzt herr-<lb/>
schenden Theorien der Lichtempfindung überhaupt einer ausführ-<lb/>
lichen Kritik unterworfen hätte. Da diese Kritik für mich zu-<lb/>
gleich den Versuch einer Widerlegung vieler, jetzt fast allgemein<lb/>
verbreiteter Ansichten mit sich gebracht hätte und deshalb eine<lb/>
ziemlich umfassende Arbeit geworden wäre, so unterließ ich sie<lb/>
damals gänzlich, womit mir freilich auch die Fortsetzung der<lb/>
erwähnten Monographie vorerst unmöglich gemacht war.</p><lb/>
          <p>Seitdem hat mich die fortgesetzte Beschäftigung mit physio-<lb/>
logischen und psychologischen Fragen immer mehr in der Über-<lb/>
zeugung bestärkt, daß jene moderne Richtung der Sinnenphysio-<lb/>
logie, welche insbesondere in der &#x201E;Physiologischen Optik&#x201C; von<lb/><hi rendition="#g">Helmholtz</hi> den scharfsinnigsten Ausdruck gefunden hat, uns<lb/>
nicht zur Wahrheit führt, und daß, wer der Forschung auf diesem<lb/>
Gebiete neue Wege erschliessen will, sich zuerst freimachen muß<lb/>
von den jetzt herrschenden Theorien.</p><lb/>
          <p>Die Unzulänglichkeit der letzteren hat meiner Ansicht nach<lb/>
ihren wesentlichsten Grund in der spiritualistischen oder, wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Hering</hi>, Lehre vom Lichtsinne. 1</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0009] Erste Mittheilung. Über successive Lichtinduction. (Vorgelegt in der Sitzung am 8. Juni 1872.) §. 1. Vorbemerkungen. Als ich vor einigen Jahren an die Herausgabe des zweiten Abschnittes einer monographischen Arbeit „über das binoculare Sehen“ 1) gehen wollte, welcher Abschnitt die binocularen Licht- empfindungen zu behandeln hat, kam ich sehr bald zu der Überzeugung, daß der Erfolg meiner Bemühungen ein sehr zweifelhafter sein müsse, wenn ich nicht zuvor die jetzt herr- schenden Theorien der Lichtempfindung überhaupt einer ausführ- lichen Kritik unterworfen hätte. Da diese Kritik für mich zu- gleich den Versuch einer Widerlegung vieler, jetzt fast allgemein verbreiteter Ansichten mit sich gebracht hätte und deshalb eine ziemlich umfassende Arbeit geworden wäre, so unterließ ich sie damals gänzlich, womit mir freilich auch die Fortsetzung der erwähnten Monographie vorerst unmöglich gemacht war. Seitdem hat mich die fortgesetzte Beschäftigung mit physio- logischen und psychologischen Fragen immer mehr in der Über- zeugung bestärkt, daß jene moderne Richtung der Sinnenphysio- logie, welche insbesondere in der „Physiologischen Optik“ von Helmholtz den scharfsinnigsten Ausdruck gefunden hat, uns nicht zur Wahrheit führt, und daß, wer der Forschung auf diesem Gebiete neue Wege erschliessen will, sich zuerst freimachen muß von den jetzt herrschenden Theorien. Die Unzulänglichkeit der letzteren hat meiner Ansicht nach ihren wesentlichsten Grund in der spiritualistischen oder, wie 1) Die Lehre vom binocularen Sehen. Leipzig 1868. Hering, Lehre vom Lichtsinne. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Aus pragmatischen Gründen wurde für das DTA die z… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/9
Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/9>, abgerufen am 21.11.2024.