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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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gesetzt. Die dort entwickelten Thatsachen zwingen uns nun-
mehr, dieses einseitige Verhalten bei der Untersuchung der Ge-
sichtsempfindungen aufzugeben, und beiden Hauptvariablen der
Gesichtsempfindung, dem Dunklen oder Schwarzen ebensowohl
wie dem Hellen oder Weißen, die gleiche Berücksichtigung zu
schenken.

Ich habe in §. 21 dargelegt, wie alle Empfindungen der
schwarzweißen Empfindungsreihe in zweifacher Weise unterein-
ander verwandt erscheinen, zweierlei Momente gemeinsam haben,
nämlich die Helligkeits- und die Dunkelheitsempfindung, das
Schwarz und das Weiß; und wie ferner jedes Glied dieser Em-
pfindungsreihe sich charakterisiren läßt durch das Verhältniß,
in welchem diese beiden Momente in der gegebenen Empfindung
enthalten sind. Wenn wir nun nach dem physischen Correlate
jener Empfindungen, nach den ihnen zu Grunde liegenden
psychophysischen oder psychochemischen Processen fragen, so
hat die Annahme, daß das physische Correlat der schwärzesten
Empfindung nichts weiter sei, als der niederste Intensitätsgrad
desselben Processes, welcher in seiner höchsten Intensität die
hellste oder reinste weiße Empfindung bedingt, nicht nur nichts
für sich, sondern erscheint sogar als ungemäß und widerspruchs-
voll. Denn diese Annahme fordert für zwei offenbar grundver-
schiedene Qualitäten der Empfindung eine und dieselbe Art des
psychophysischen Processes. Unsere ganze Psychophysik fußt
aber auf der Annahme, daß zwischen physischem und psychischem
Geschehen ein gewisser Parallelismus bestehe, und daß insbe-
sondere verschiedenen Qualitäten der Empfindung auch verschie-
dene Qualitäten oder Formen des psychophysischen Geschehens
entsprechen. 1)

1) Obwohl sich dies eigentlich für jeden, der eine gesetzmäßige
functionelle Beziehung zwischen Psychischem und Physischem, Empfindung
und Nervenproceß annimmt, von selbst verstehen sollte, ist es doch viel-
fach außer Acht gelassen worden, und selbst Fechner, obwohl er von
derselben Voraussetzung geleitet wird, macht doch, wie mir scheint, zu
wenig Anwendung von derselben. Mach bezeichnet diese Grundvoraus-
setzung der ganzen Psychophysik blos als "ein heuristisches Princip der
psychophysischen Forschung"; aber sie ist mehr, sie ist die conditio sine
qua non aller solchen Forschung, wenn sie Früchte tragen soll. Mach be-
merkt (Über d. Wirk. d. räuml. Vertheil. d. Lichtreizes auf die Netzhaut.

gesetzt. Die dort entwickelten Thatsachen zwingen uns nun-
mehr, dieses einseitige Verhalten bei der Untersuchung der Ge-
sichtsempfindungen aufzugeben, und beiden Hauptvariablen der
Gesichtsempfindung, dem Dunklen oder Schwarzen ebensowohl
wie dem Hellen oder Weißen, die gleiche Berücksichtigung zu
schenken.

Ich habe in §. 21 dargelegt, wie alle Empfindungen der
schwarzweißen Empfindungsreihe in zweifacher Weise unterein-
ander verwandt erscheinen, zweierlei Momente gemeinsam haben,
nämlich die Helligkeits- und die Dunkelheitsempfindung, das
Schwarz und das Weiß; und wie ferner jedes Glied dieser Em-
pfindungsreihe sich charakterisiren läßt durch das Verhältniß,
in welchem diese beiden Momente in der gegebenen Empfindung
enthalten sind. Wenn wir nun nach dem physischen Correlate
jener Empfindungen, nach den ihnen zu Grunde liegenden
psychophysischen oder psychochemischen Processen fragen, so
hat die Annahme, daß das physische Correlat der schwärzesten
Empfindung nichts weiter sei, als der niederste Intensitätsgrad
desselben Processes, welcher in seiner höchsten Intensität die
hellste oder reinste weiße Empfindung bedingt, nicht nur nichts
für sich, sondern erscheint sogar als ungemäß und widerspruchs-
voll. Denn diese Annahme fordert für zwei offenbar grundver-
schiedene Qualitäten der Empfindung eine und dieselbe Art des
psychophysischen Processes. Unsere ganze Psychophysik fußt
aber auf der Annahme, daß zwischen physischem und psychischem
Geschehen ein gewisser Parallelismus bestehe, und daß insbe-
sondere verschiedenen Qualitäten der Empfindung auch verschie-
dene Qualitäten oder Formen des psychophysischen Geschehens
entsprechen. 1)

1) Obwohl sich dies eigentlich für jeden, der eine gesetzmäßige
functionelle Beziehung zwischen Psychischem und Physischem, Empfindung
und Nervenproceß annimmt, von selbst verstehen sollte, ist es doch viel-
fach außer Acht gelassen worden, und selbst Fechner, obwohl er von
derselben Voraussetzung geleitet wird, macht doch, wie mir scheint, zu
wenig Anwendung von derselben. Mach bezeichnet diese Grundvoraus-
setzung der ganzen Psychophysik blos als „ein heuristisches Princip der
psychophysischen Forschung“; aber sie ist mehr, sie ist die conditio sine
qua non aller solchen Forschung, wenn sie Früchte tragen soll. Mach be-
merkt (Über d. Wirk. d. räuml. Vertheil. d. Lichtreizes auf die Netzhaut.
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[76/0084] gesetzt. Die dort entwickelten Thatsachen zwingen uns nun- mehr, dieses einseitige Verhalten bei der Untersuchung der Ge- sichtsempfindungen aufzugeben, und beiden Hauptvariablen der Gesichtsempfindung, dem Dunklen oder Schwarzen ebensowohl wie dem Hellen oder Weißen, die gleiche Berücksichtigung zu schenken. Ich habe in §. 21 dargelegt, wie alle Empfindungen der schwarzweißen Empfindungsreihe in zweifacher Weise unterein- ander verwandt erscheinen, zweierlei Momente gemeinsam haben, nämlich die Helligkeits- und die Dunkelheitsempfindung, das Schwarz und das Weiß; und wie ferner jedes Glied dieser Em- pfindungsreihe sich charakterisiren läßt durch das Verhältniß, in welchem diese beiden Momente in der gegebenen Empfindung enthalten sind. Wenn wir nun nach dem physischen Correlate jener Empfindungen, nach den ihnen zu Grunde liegenden psychophysischen oder psychochemischen Processen fragen, so hat die Annahme, daß das physische Correlat der schwärzesten Empfindung nichts weiter sei, als der niederste Intensitätsgrad desselben Processes, welcher in seiner höchsten Intensität die hellste oder reinste weiße Empfindung bedingt, nicht nur nichts für sich, sondern erscheint sogar als ungemäß und widerspruchs- voll. Denn diese Annahme fordert für zwei offenbar grundver- schiedene Qualitäten der Empfindung eine und dieselbe Art des psychophysischen Processes. Unsere ganze Psychophysik fußt aber auf der Annahme, daß zwischen physischem und psychischem Geschehen ein gewisser Parallelismus bestehe, und daß insbe- sondere verschiedenen Qualitäten der Empfindung auch verschie- dene Qualitäten oder Formen des psychophysischen Geschehens entsprechen. 1) 1) Obwohl sich dies eigentlich für jeden, der eine gesetzmäßige functionelle Beziehung zwischen Psychischem und Physischem, Empfindung und Nervenproceß annimmt, von selbst verstehen sollte, ist es doch viel- fach außer Acht gelassen worden, und selbst Fechner, obwohl er von derselben Voraussetzung geleitet wird, macht doch, wie mir scheint, zu wenig Anwendung von derselben. Mach bezeichnet diese Grundvoraus- setzung der ganzen Psychophysik blos als „ein heuristisches Princip der psychophysischen Forschung“; aber sie ist mehr, sie ist die conditio sine qua non aller solchen Forschung, wenn sie Früchte tragen soll. Mach be- merkt (Über d. Wirk. d. räuml. Vertheil. d. Lichtreizes auf die Netzhaut.

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/84>, abgerufen am 22.11.2024.