Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

nimmer übersprudelt von Freude; ja die weise
Mäßigkeit und Furcht Gottes sollte, wie aber-
mals das älteste Sittenbuch s) sagt, selbst dem
Nabel gesund seyn und erquicken die Gebeine. --
Wir hönen jetzt über diese Beschreibungen der
Einfalt, so wahr sie sind. Wir machen uns
Schürze von Feigenblättern, wie jene Ersten,
und meistens auch aus derselben Ursach. Jch
schweige also und spreche nur noch Ein Wort von
Rücken, Hand und Fuß.

Wie an allen, so haben die Griechen auch an
diesen Theilen das Schönste gekannt und gebil-
det. Wenn der schöne Nacken bei Bacchus
herabfleußt, und Venus aus dem Bade mit ih-
rem gebognen Rücken der Taube herauftritt, und
der schöne Torso da sitzt und sinnet -- doch wie
kann ich beschreiben? und was hilft beschreiben,
wenn man nicht selbst sieht und das schöne Ge-
bürge hinabgleitet? Und wie über der Hüfte sich
der Rücken in Weiche verlieret! Prometheus
und Pygmalion, konnten sie anders als umschlin-
gend das schöne Gebilde, das zarte Verfließen
auf jeglicher Stelle gebildet haben? Und die
Hüften, nach der Sprache jenes alten Buches
der Unschuld, zwo Spangen von Meisterhand,
und die Schenkel Apollo's als Marmorsäulen,
und das Knie ohne Todgelösete Knöchel, als

wäre
s) Sprüchw. 3, 8.
F 4

nimmer uͤberſprudelt von Freude; ja die weiſe
Maͤßigkeit und Furcht Gottes ſollte, wie aber-
mals das aͤlteſte Sittenbuch s) ſagt, ſelbſt dem
Nabel geſund ſeyn und erquicken die Gebeine. —
Wir hoͤnen jetzt uͤber dieſe Beſchreibungen der
Einfalt, ſo wahr ſie ſind. Wir machen uns
Schuͤrze von Feigenblaͤttern, wie jene Erſten,
und meiſtens auch aus derſelben Urſach. Jch
ſchweige alſo und ſpreche nur noch Ein Wort von
Ruͤcken, Hand und Fuß.

Wie an allen, ſo haben die Griechen auch an
dieſen Theilen das Schoͤnſte gekannt und gebil-
det. Wenn der ſchoͤne Nacken bei Bacchus
herabfleußt, und Venus aus dem Bade mit ih-
rem gebognen Ruͤcken der Taube herauftritt, und
der ſchoͤne Torſo da ſitzt und ſinnet — doch wie
kann ich beſchreiben? und was hilft beſchreiben,
wenn man nicht ſelbſt ſieht und das ſchoͤne Ge-
buͤrge hinabgleitet? Und wie uͤber der Huͤfte ſich
der Ruͤcken in Weiche verlieret! Prometheus
und Pygmalion, konnten ſie anders als umſchlin-
gend das ſchoͤne Gebilde, das zarte Verfließen
auf jeglicher Stelle gebildet haben? Und die
Huͤften, nach der Sprache jenes alten Buches
der Unſchuld, zwo Spangen von Meiſterhand,
und die Schenkel Apollo’s als Marmorſaͤulen,
und das Knie ohne Todgeloͤſete Knoͤchel, als

waͤre
s) Spruͤchw. 3, 8.
F 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0090" n="87"/>
nimmer u&#x0364;ber&#x017F;prudelt von Freude; ja die wei&#x017F;e<lb/>
Ma&#x0364;ßigkeit und Furcht Gottes &#x017F;ollte, wie aber-<lb/>
mals das a&#x0364;lte&#x017F;te Sittenbuch <note place="foot" n="s)">Spru&#x0364;chw. 3, 8.</note> &#x017F;agt, &#x017F;elb&#x017F;t dem<lb/>
Nabel ge&#x017F;und &#x017F;eyn und erquicken die Gebeine. &#x2014;<lb/>
Wir ho&#x0364;nen jetzt u&#x0364;ber die&#x017F;e Be&#x017F;chreibungen der<lb/>
Einfalt, &#x017F;o wahr &#x017F;ie &#x017F;ind. Wir machen uns<lb/>
Schu&#x0364;rze von Feigenbla&#x0364;ttern, wie jene Er&#x017F;ten,<lb/>
und mei&#x017F;tens auch aus der&#x017F;elben Ur&#x017F;ach. Jch<lb/>
&#x017F;chweige al&#x017F;o und &#x017F;preche nur noch Ein Wort von<lb/>
Ru&#x0364;cken, Hand und Fuß.</p><lb/>
        <p>Wie an allen, &#x017F;o haben die Griechen auch an<lb/>
die&#x017F;en Theilen das Scho&#x0364;n&#x017F;te gekannt und gebil-<lb/>
det. Wenn der &#x017F;cho&#x0364;ne Nacken bei Bacchus<lb/>
herabfleußt, und Venus aus dem Bade mit ih-<lb/>
rem gebognen Ru&#x0364;cken der Taube herauftritt, und<lb/>
der &#x017F;cho&#x0364;ne Tor&#x017F;o da &#x017F;itzt und &#x017F;innet &#x2014; doch wie<lb/>
kann ich be&#x017F;chreiben? und was hilft be&#x017F;chreiben,<lb/>
wenn man nicht &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ieht und das &#x017F;cho&#x0364;ne Ge-<lb/>
bu&#x0364;rge hinabgleitet? Und wie u&#x0364;ber der Hu&#x0364;fte &#x017F;ich<lb/>
der Ru&#x0364;cken in Weiche verlieret! Prometheus<lb/>
und Pygmalion, konnten &#x017F;ie anders als um&#x017F;chlin-<lb/>
gend das &#x017F;cho&#x0364;ne Gebilde, das zarte Verfließen<lb/>
auf jeglicher Stelle gebildet haben? Und die<lb/>
Hu&#x0364;ften, nach der Sprache jenes alten Buches<lb/>
der Un&#x017F;chuld, zwo Spangen von Mei&#x017F;terhand,<lb/>
und die Schenkel Apollo&#x2019;s als Marmor&#x017F;a&#x0364;ulen,<lb/>
und das Knie ohne Todgelo&#x0364;&#x017F;ete Kno&#x0364;chel, als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wa&#x0364;re</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0090] nimmer uͤberſprudelt von Freude; ja die weiſe Maͤßigkeit und Furcht Gottes ſollte, wie aber- mals das aͤlteſte Sittenbuch s) ſagt, ſelbſt dem Nabel geſund ſeyn und erquicken die Gebeine. — Wir hoͤnen jetzt uͤber dieſe Beſchreibungen der Einfalt, ſo wahr ſie ſind. Wir machen uns Schuͤrze von Feigenblaͤttern, wie jene Erſten, und meiſtens auch aus derſelben Urſach. Jch ſchweige alſo und ſpreche nur noch Ein Wort von Ruͤcken, Hand und Fuß. Wie an allen, ſo haben die Griechen auch an dieſen Theilen das Schoͤnſte gekannt und gebil- det. Wenn der ſchoͤne Nacken bei Bacchus herabfleußt, und Venus aus dem Bade mit ih- rem gebognen Ruͤcken der Taube herauftritt, und der ſchoͤne Torſo da ſitzt und ſinnet — doch wie kann ich beſchreiben? und was hilft beſchreiben, wenn man nicht ſelbſt ſieht und das ſchoͤne Ge- buͤrge hinabgleitet? Und wie uͤber der Huͤfte ſich der Ruͤcken in Weiche verlieret! Prometheus und Pygmalion, konnten ſie anders als umſchlin- gend das ſchoͤne Gebilde, das zarte Verfließen auf jeglicher Stelle gebildet haben? Und die Huͤften, nach der Sprache jenes alten Buches der Unſchuld, zwo Spangen von Meiſterhand, und die Schenkel Apollo’s als Marmorſaͤulen, und das Knie ohne Todgeloͤſete Knoͤchel, als waͤre s) Spruͤchw. 3, 8. F 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/90
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/90>, abgerufen am 24.11.2024.