[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.wie sich seine Backe schließt. Ob er ewig knir- Die Unterlippe fängt schon an, das Kinn zu ächte
wie ſich ſeine Backe ſchließt. Ob er ewig knir- Die Unterlippe faͤngt ſchon an, das Kinn zu aͤchte
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0085" n="82"/> wie ſich ſeine Backe ſchließt. Ob er ewig knir-<lb/> ſche und grinſe? oder bei jeder Oefnung den <hi rendition="#aq">ri-<lb/> ctum leonis,</hi> das χασμ̕ οδοντων mache, das ei-<lb/> ne unausſtehlich freundliche Zerrung iſt? oder<lb/> alles ſchlaff hange, und ſtatt einer vollen Lieb-<lb/> und Ueberredungduftenden Roſe, ein Mundlap-<lb/> pe da ſei? Ein reiner, zarter Mund iſt vielleicht<lb/> die ſchoͤnſte Empfehlung des gemeinen Lebens:<lb/> denn, wie die Pforte, ſo glaubt man ſei auch<lb/> der Gaſt, der heraus tritt, das <hi rendition="#fr">Wort</hi> des Her-<lb/> zens und der Seele. Der Ausdruck: <hi rendition="#fr">an je-<lb/> mandes Munde hangen</hi>; die <hi rendition="#fr">zwo Purpurfaͤ-<lb/> den</hi> des <hi rendition="#fr">Hohenliedes</hi>, die ſuͤßen Duft athmen:<lb/> das Spruͤchwort vom <hi rendition="#fr">verſchloßnen</hi> und <hi rendition="#fr">offnen<lb/> Munde</hi> iſt, duͤnkt mich, lauter Phyſiſches Le-<lb/> ben. Hier iſt der Kelch der Wahrheit, der Be-<lb/> cher der Liebe und zarteſten Freundſchaft.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#fr">Unterlippe</hi> faͤngt ſchon an, das <hi rendition="#fr">Kinn</hi> zu<lb/> bilden, und der <hi rendition="#fr">Kinnknochen</hi>, der von beiden<lb/> Seiten herabkommt, beſchließt es. Es zeigt<lb/> viel, wenn ich figuͤrlich reden darf, von der<lb/><hi rendition="#fr">Wurzel der Sinnlichkeit</hi> im Menſchen, ob ſie<lb/> veſt oder loſe, rund oder ſchwammig ſei? und<lb/> mit welchen Fuͤßen er gleichſam im Erdreich ſte-<lb/> he? Da das Kinn die ganze Ellypſe des Ange-<lb/> ſichts ruͤndet, ſo iſts, wann es, wie bei den<lb/> Griechen, nicht ſpitz, nicht gehoͤlt, ſondern un-<lb/> unterbrochen, ganz und leicht herabfließt, der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">aͤchte</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0085]
wie ſich ſeine Backe ſchließt. Ob er ewig knir-
ſche und grinſe? oder bei jeder Oefnung den ri-
ctum leonis, das χασμ̕ οδοντων mache, das ei-
ne unausſtehlich freundliche Zerrung iſt? oder
alles ſchlaff hange, und ſtatt einer vollen Lieb-
und Ueberredungduftenden Roſe, ein Mundlap-
pe da ſei? Ein reiner, zarter Mund iſt vielleicht
die ſchoͤnſte Empfehlung des gemeinen Lebens:
denn, wie die Pforte, ſo glaubt man ſei auch
der Gaſt, der heraus tritt, das Wort des Her-
zens und der Seele. Der Ausdruck: an je-
mandes Munde hangen; die zwo Purpurfaͤ-
den des Hohenliedes, die ſuͤßen Duft athmen:
das Spruͤchwort vom verſchloßnen und offnen
Munde iſt, duͤnkt mich, lauter Phyſiſches Le-
ben. Hier iſt der Kelch der Wahrheit, der Be-
cher der Liebe und zarteſten Freundſchaft.
Die Unterlippe faͤngt ſchon an, das Kinn zu
bilden, und der Kinnknochen, der von beiden
Seiten herabkommt, beſchließt es. Es zeigt
viel, wenn ich figuͤrlich reden darf, von der
Wurzel der Sinnlichkeit im Menſchen, ob ſie
veſt oder loſe, rund oder ſchwammig ſei? und
mit welchen Fuͤßen er gleichſam im Erdreich ſte-
he? Da das Kinn die ganze Ellypſe des Ange-
ſichts ruͤndet, ſo iſts, wann es, wie bei den
Griechen, nicht ſpitz, nicht gehoͤlt, ſondern un-
unterbrochen, ganz und leicht herabfließt, der
aͤchte
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