Unter der Stirn steht ihre schöne Grenze, die Augenbrane: ein Regenbogen des Friedes, wenn sie sanft ist, und der aufgespannte Bogen der Zwietracht, wenn sie dem Himmel über sich Zorn und Wolken sendet. Jn beidem Falle al- so Verkündigerin der Gesinnung und Bote des Himmels zur Erde. Was vom Haar all- gemein gesagt wurde, gilt von diesem Faden der Haare, sie mögen Furie oder Grazie seyn, aus- zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem friedlichen sanften Härchen; oder Flammen stei- gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb- kugeln, die Jgelborsten, die Wirbel, die Grecq- Figuren für Eindruck machen, kann wohl keine Feder schreiben. Und wie schwimmt Gegen- theils Auge und Hand so sanft die linde friedliche Augenbrane hinunter! sie gleitet hinab, wie der Kahn des Lebens in schöner Morgen- oder Abendröthe. Jch weiß nicht, was für ein Wink dem Verständigen angenehmer, anziehen- der seyn könne, als hier ein scharfer, vester und doch sanfter Winkel zwischen Stirn und Auge. Er gibt dem Profil einen unaussprechlich interes- santen Zug und ist der Hügel, auf dem sich Ge- nien und Grazien sonnen, um sich in die Quel- le des Schattenumkränzten lieblichen Auges zu tauchen.
Das
Unter der Stirn ſteht ihre ſchoͤne Grenze, die Augenbrane: ein Regenbogen des Friedes, wenn ſie ſanft iſt, und der aufgeſpannte Bogen der Zwietracht, wenn ſie dem Himmel uͤber ſich Zorn und Wolken ſendet. Jn beidem Falle al- ſo Verkuͤndigerin der Geſinnung und Bote des Himmels zur Erde. Was vom Haar all- gemein geſagt wurde, gilt von dieſem Faden der Haare, ſie moͤgen Furie oder Grazie ſeyn, aus- zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem friedlichen ſanften Haͤrchen; oder Flammen ſtei- gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb- kugeln, die Jgelborſten, die Wirbel, die Grecq- Figuren fuͤr Eindruck machen, kann wohl keine Feder ſchreiben. Und wie ſchwimmt Gegen- theils Auge und Hand ſo ſanft die linde friedliche Augenbrane hinunter! ſie gleitet hinab, wie der Kahn des Lebens in ſchoͤner Morgen- oder Abendroͤthe. Jch weiß nicht, was fuͤr ein Wink dem Verſtaͤndigen angenehmer, anziehen- der ſeyn koͤnne, als hier ein ſcharfer, veſter und doch ſanfter Winkel zwiſchen Stirn und Auge. Er gibt dem Profil einen unausſprechlich intereſ- ſanten Zug und iſt der Huͤgel, auf dem ſich Ge- nien und Grazien ſonnen, um ſich in die Quel- le des Schattenumkraͤnzten lieblichen Auges zu tauchen.
Das
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Unter der Stirn ſteht ihre ſchoͤne Grenze, die
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wenn ſie ſanft iſt, und der aufgeſpannte Bogen
der Zwietracht, wenn ſie dem Himmel uͤber ſich
Zorn und Wolken ſendet. Jn beidem Falle al-
ſo Verkuͤndigerin der Geſinnung und Bote
des Himmels zur Erde. Was vom Haar all-
gemein geſagt wurde, gilt von dieſem Faden der
Haare, ſie moͤgen Furie oder Grazie ſeyn, aus-
zeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem
friedlichen ſanften Haͤrchen; oder Flammen ſtei-
gen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halb-
kugeln, die Jgelborſten, die Wirbel, die Grecq-
Figuren fuͤr Eindruck machen, kann wohl keine
Feder ſchreiben. Und wie ſchwimmt Gegen-
theils Auge und Hand ſo ſanft die linde friedliche
Augenbrane hinunter! ſie gleitet hinab, wie
der Kahn des Lebens in ſchoͤner Morgen- oder
Abendroͤthe. Jch weiß nicht, was fuͤr ein
Wink dem Verſtaͤndigen angenehmer, anziehen-
der ſeyn koͤnne, als hier ein ſcharfer, veſter und
doch ſanfter Winkel zwiſchen Stirn und Auge.
Er gibt dem Profil einen unausſprechlich intereſ-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/80>, abgerufen am 16.02.2025.
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