Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Auge, mit dem er sah, das Stralen- und See-
lenmeer, mit dem er alles begoß, und von dem
ja auch jeder Umriß, jedes gepriesene Angesicht
abhängt. Wer für dies geistige Lichtmeer der
Gottheit durch eines Menschen Antlitz in Ge-
mählde oder Zeichnungen keinen Sinn hat, der
lasse sein Kind sich Farben klecken und schaue.
Dies Eine, das Lichtorgan Gottes, die Zauber-
welt der Haltung ist in der Mahlerei, obwohl
nach jedes neuen Meisters Sinne, bleibend;
das andre, sofern es nicht von der fixen Bild-
hauerkunst und also von Todten borget, ist eine
Zaubertafel auch in der Verwandlung, ein Meer
von Wellen, Geschichten und Gestalten, wo Eine
die Andre ablöst. So muß es auch seyn und
nur der Geist des Künstlers und das Organ des
ewigen Schöpfers bleibe! --


Dritter

Auge, mit dem er ſah, das Stralen- und See-
lenmeer, mit dem er alles begoß, und von dem
ja auch jeder Umriß, jedes geprieſene Angeſicht
abhaͤngt. Wer fuͤr dies geiſtige Lichtmeer der
Gottheit durch eines Menſchen Antlitz in Ge-
maͤhlde oder Zeichnungen keinen Sinn hat, der
laſſe ſein Kind ſich Farben klecken und ſchaue.
Dies Eine, das Lichtorgan Gottes, die Zauber-
welt der Haltung iſt in der Mahlerei, obwohl
nach jedes neuen Meiſters Sinne, bleibend;
das andre, ſofern es nicht von der fixen Bild-
hauerkunſt und alſo von Todten borget, iſt eine
Zaubertafel auch in der Verwandlung, ein Meer
von Wellen, Geſchichten und Geſtalten, wo Eine
die Andre abloͤſt. So muß es auch ſeyn und
nur der Geiſt des Kuͤnſtlers und das Organ des
ewigen Schoͤpfers bleibe! —


Dritter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="61"/><hi rendition="#fr">Auge</hi>, mit dem er &#x017F;ah, das <hi rendition="#fr">Stralen-</hi> und <hi rendition="#fr">See-<lb/>
lenmeer</hi>, mit dem er alles begoß, und von dem<lb/>
ja auch jeder Umriß, jedes geprie&#x017F;ene Ange&#x017F;icht<lb/>
abha&#x0364;ngt. Wer fu&#x0364;r dies gei&#x017F;tige <hi rendition="#fr">Lichtmeer der<lb/>
Gottheit</hi> durch eines Men&#x017F;chen Antlitz in Ge-<lb/>
ma&#x0364;hlde oder Zeichnungen keinen Sinn hat, der<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ein Kind &#x017F;ich Farben klecken und &#x017F;chaue.<lb/>
Dies Eine, das Lichtorgan Gottes, die <hi rendition="#fr">Zauber-<lb/>
welt der Haltung</hi> i&#x017F;t in der Mahlerei, obwohl<lb/>
nach jedes neuen Mei&#x017F;ters Sinne, <hi rendition="#fr">bleibend</hi>;<lb/>
das andre, &#x017F;ofern es nicht von der fixen Bild-<lb/>
hauerkun&#x017F;t und al&#x017F;o von Todten borget, i&#x017F;t eine<lb/>
Zaubertafel auch in der <hi rendition="#fr">Verwandlung</hi>, ein Meer<lb/>
von Wellen, Ge&#x017F;chichten und Ge&#x017F;talten, wo Eine<lb/>
die Andre ablo&#x0364;&#x017F;t. So muß es auch &#x017F;eyn und<lb/>
nur der Gei&#x017F;t des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers und das Organ des<lb/>
ewigen Scho&#x0364;pfers bleibe! &#x2014;</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Dritter</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0064] Auge, mit dem er ſah, das Stralen- und See- lenmeer, mit dem er alles begoß, und von dem ja auch jeder Umriß, jedes geprieſene Angeſicht abhaͤngt. Wer fuͤr dies geiſtige Lichtmeer der Gottheit durch eines Menſchen Antlitz in Ge- maͤhlde oder Zeichnungen keinen Sinn hat, der laſſe ſein Kind ſich Farben klecken und ſchaue. Dies Eine, das Lichtorgan Gottes, die Zauber- welt der Haltung iſt in der Mahlerei, obwohl nach jedes neuen Meiſters Sinne, bleibend; das andre, ſofern es nicht von der fixen Bild- hauerkunſt und alſo von Todten borget, iſt eine Zaubertafel auch in der Verwandlung, ein Meer von Wellen, Geſchichten und Geſtalten, wo Eine die Andre abloͤſt. So muß es auch ſeyn und nur der Geiſt des Kuͤnſtlers und das Organ des ewigen Schoͤpfers bleibe! — Dritter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/64
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/64>, abgerufen am 16.02.2025.