[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.ohne Zweifel diese Formen so ursprünglich erkennen 2. Warum *) Ein neuer, sehr denkender Künstler, Falconet,
hat manches für die reiche und (kurz zu sagen) mahlerische Bekleidung der Bildsäulen gesagt, was in unsern Zeiten, da den meisten Anschauen- den die Bildnerkunst selbst nur Mahlerei ist, wahr seyn kann; mich dünkt indessen, es gelte nur als Ausnahme und Hülfe, weil wir zur nackten Fülle der Alten nicht mehr kommen können, und uns also diesen Mangel durch den Wurf der Klei- der ersetzen mögen, die in der Bildnerei doch nie mehr Kleider sind. ohne Zweifel dieſe Formen ſo urſpruͤnglich erkennen 2. Warum *) Ein neuer, ſehr denkender Kuͤnſtler, Falconet,
hat manches fuͤr die reiche und (kurz zu ſagen) mahleriſche Bekleidung der Bildſaͤulen geſagt, was in unſern Zeiten, da den meiſten Anſchauen- den die Bildnerkunſt ſelbſt nur Mahlerei iſt, wahr ſeyn kann; mich duͤnkt indeſſen, es gelte nur als Ausnahme und Huͤlfe, weil wir zur nackten Fuͤlle der Alten nicht mehr kommen koͤnnen, und uns alſo dieſen Mangel durch den Wurf der Klei- der erſetzen moͤgen, die in der Bildnerei doch nie mehr Kleider ſind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0045" n="42"/> ohne Zweifel dieſe Formen ſo urſpruͤnglich erkennen<lb/> muſte, als Bildhauerei nicht <hi rendition="#fr">ſchildert,</hi> ſondern<lb/><hi rendition="#fr">ſchafft</hi> und <hi rendition="#fr">darſtellt.</hi> So lange alſo nicht das<lb/> Griechiſche Zeitalter der Knaben- und Maͤdchen-<lb/> liebe in ſeiner offnen <hi rendition="#fr">Jugendunſchuld,</hi> als Spiel<lb/> und Freude zuruͤckkehrt: ſo lange der Kuͤnſtler<lb/> ſteife Modelle von Fiſchbeinroͤcken und Schnuͤr-<lb/> bruͤſten ſieht, und ja nichts weiter; ſo iſts nur<lb/> Thorheit, Griechiſche Bildkunſt <hi rendition="#fr">erwarten</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">hervorbringen</hi> zu wollen. Sein Sinn verſagt<lb/> ihm; ſoll er Engelsformen, Apollos- und Hou-<lb/> risgeſtalten aus der Luft greifen? daher gegriffen<lb/> ſind ſie Schaumblaſen, die zergehen, ehe er ſie<lb/> der Hand, vielweniger dem Stein einverleibet.<lb/> Mit einem großen Theil der Mahlerei, freilich<lb/> nicht mit dem, der auch ſchoͤne Formen enthaͤlt<lb/> und als lebendiger Traum zunaͤchſt an jene wa-<lb/> chende Wahrheit graͤnzet, iſts anders<note place="foot" n="*)">Ein neuer, ſehr denkender Kuͤnſtler, <hi rendition="#fr">Falconet,</hi><lb/> hat manches fuͤr die reiche und (kurz zu ſagen)<lb/><hi rendition="#fr">mahleriſche</hi> Bekleidung der Bildſaͤulen geſagt,<lb/> was in unſern Zeiten, da den meiſten Anſchauen-<lb/> den die Bildnerkunſt ſelbſt nur <hi rendition="#fr">Mahlerei</hi> iſt, wahr<lb/> ſeyn kann; mich duͤnkt indeſſen, es gelte nur als<lb/> Ausnahme und Huͤlfe, weil wir zur <hi rendition="#fr">nackten<lb/> Fuͤlle</hi> der Alten nicht mehr kommen koͤnnen, und<lb/> uns alſo dieſen Mangel durch den Wurf der Klei-<lb/> der erſetzen moͤgen, die in der Bildnerei doch nie<lb/> mehr Kleider ſind.</note>.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">2. Warum</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [42/0045]
ohne Zweifel dieſe Formen ſo urſpruͤnglich erkennen
muſte, als Bildhauerei nicht ſchildert, ſondern
ſchafft und darſtellt. So lange alſo nicht das
Griechiſche Zeitalter der Knaben- und Maͤdchen-
liebe in ſeiner offnen Jugendunſchuld, als Spiel
und Freude zuruͤckkehrt: ſo lange der Kuͤnſtler
ſteife Modelle von Fiſchbeinroͤcken und Schnuͤr-
bruͤſten ſieht, und ja nichts weiter; ſo iſts nur
Thorheit, Griechiſche Bildkunſt erwarten oder
hervorbringen zu wollen. Sein Sinn verſagt
ihm; ſoll er Engelsformen, Apollos- und Hou-
risgeſtalten aus der Luft greifen? daher gegriffen
ſind ſie Schaumblaſen, die zergehen, ehe er ſie
der Hand, vielweniger dem Stein einverleibet.
Mit einem großen Theil der Mahlerei, freilich
nicht mit dem, der auch ſchoͤne Formen enthaͤlt
und als lebendiger Traum zunaͤchſt an jene wa-
chende Wahrheit graͤnzet, iſts anders *).
2. Warum
*) Ein neuer, ſehr denkender Kuͤnſtler, Falconet,
hat manches fuͤr die reiche und (kurz zu ſagen)
mahleriſche Bekleidung der Bildſaͤulen geſagt,
was in unſern Zeiten, da den meiſten Anſchauen-
den die Bildnerkunſt ſelbſt nur Mahlerei iſt, wahr
ſeyn kann; mich duͤnkt indeſſen, es gelte nur als
Ausnahme und Huͤlfe, weil wir zur nackten
Fuͤlle der Alten nicht mehr kommen koͤnnen, und
uns alſo dieſen Mangel durch den Wurf der Klei-
der erſetzen moͤgen, die in der Bildnerei doch nie
mehr Kleider ſind.
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