Priester- und Narrentracht gemacht; die unsre, mit Lappen und Flicken, Spitzen und Ecken, Schnitten und Taschen müste in Marmor ein wah- res Göttergewand werden. Ein Held in seiner Uniform, allenfalls noch die Fahne in der Hand und den Hut auf ein Ohr gedrückt, so ganz in Stein gebildet, wahrlich das müste ein Held seyn! Der Künstler, der ihn machte, wäre wenigstens ein schöner Kommißschneider. Betaste die Statue in dunkler Nacht, du wirst an Form und Schön- heit Wunderdinge in ihr fühlen.
Wie anders die Griechen! Sie, die gebohr- nen Künstler des Schönen. Erzhüllen und Stein- decken warfen sie ab, und bildeten, was gebildet werden konnte, schöne Körper. Apollo, vom Siege Pythons d), kam er unbekleidet? zerbrach der Künstler sich den Kopf, um doch hier einer Arm- seligkeit des Ueblichen treu zu bleiben? Nichts! er stellte den Gott, den Jüngling, den Ueberwin- der mit seinen schönen Schenkeln, freier Brust und jungen Baumeswuchse nackt dar; die Last des Kleides wurde zurückgeschoben, wo sie am wenig- sten verbarg, wo sie den Gang des Edlen nicht hindert, wo sie vielmehr seinem hochmüthigen Stande wohl thut und auch nur als die leichte Beute des Ueberwinders schwebet. Laokoon,
der
d) Winkelmanns Gesch. der K. S. 392.
Prieſter- und Narrentracht gemacht; die unſre, mit Lappen und Flicken, Spitzen und Ecken, Schnitten und Taſchen muͤſte in Marmor ein wah- res Goͤttergewand werden. Ein Held in ſeiner Uniform, allenfalls noch die Fahne in der Hand und den Hut auf ein Ohr gedruͤckt, ſo ganz in Stein gebildet, wahrlich das muͤſte ein Held ſeyn! Der Kuͤnſtler, der ihn machte, waͤre wenigſtens ein ſchoͤner Kommißſchneider. Betaſte die Statue in dunkler Nacht, du wirſt an Form und Schoͤn- heit Wunderdinge in ihr fuͤhlen.
Wie anders die Griechen! Sie, die gebohr- nen Kuͤnſtler des Schoͤnen. Erzhuͤllen und Stein- decken warfen ſie ab, und bildeten, was gebildet werden konnte, ſchoͤne Koͤrper. Apollo, vom Siege Pythons d), kam er unbekleidet? zerbrach der Kuͤnſtler ſich den Kopf, um doch hier einer Arm- ſeligkeit des Ueblichen treu zu bleiben? Nichts! er ſtellte den Gott, den Juͤngling, den Ueberwin- der mit ſeinen ſchoͤnen Schenkeln, freier Bruſt und jungen Baumeswuchſe nackt dar; die Laſt des Kleides wurde zuruͤckgeſchoben, wo ſie am wenig- ſten verbarg, wo ſie den Gang des Edlen nicht hindert, wo ſie vielmehr ſeinem hochmuͤthigen Stande wohl thut und auch nur als die leichte Beute des Ueberwinders ſchwebet. Laokoon,
der
d) Winkelmanns Geſch. der K. S. 392.
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Prieſter- und Narrentracht gemacht; die unſre,
mit Lappen und Flicken, Spitzen und Ecken,
Schnitten und Taſchen muͤſte in Marmor ein wah-
res Goͤttergewand werden. Ein Held in ſeiner
Uniform, allenfalls noch die Fahne in der Hand
und den Hut auf ein Ohr gedruͤckt, ſo ganz in
Stein gebildet, wahrlich das muͤſte ein Held ſeyn!
Der Kuͤnſtler, der ihn machte, waͤre wenigſtens
ein ſchoͤner Kommißſchneider. Betaſte die Statue
in dunkler Nacht, du wirſt an Form und Schoͤn-
heit Wunderdinge in ihr fuͤhlen.
Wie anders die Griechen! Sie, die gebohr-
nen Kuͤnſtler des Schoͤnen. Erzhuͤllen und Stein-
decken warfen ſie ab, und bildeten, was gebildet
werden konnte, ſchoͤne Koͤrper. Apollo, vom
Siege Pythons d), kam er unbekleidet? zerbrach
der Kuͤnſtler ſich den Kopf, um doch hier einer Arm-
ſeligkeit des Ueblichen treu zu bleiben? Nichts!
er ſtellte den Gott, den Juͤngling, den Ueberwin-
der mit ſeinen ſchoͤnen Schenkeln, freier Bruſt
und jungen Baumeswuchſe nackt dar; die Laſt des
Kleides wurde zuruͤckgeſchoben, wo ſie am wenig-
ſten verbarg, wo ſie den Gang des Edlen nicht
hindert, wo ſie vielmehr ſeinem hochmuͤthigen
Stande wohl thut und auch nur als die leichte
Beute des Ueberwinders ſchwebet. Laokoon,
der
d) Winkelmanns Geſch. der K. S. 392.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/34>, abgerufen am 16.02.2025.
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