[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.Tafel. Aus dem Schlafe fahrend, ehe wir unser Denn alle Eigenschaften der Körper, was Hand
Tafel. Aus dem Schlafe fahrend, ehe wir unſer Denn alle Eigenſchaften der Koͤrper, was Hand
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0014" n="11"/> Tafel. Aus dem Schlafe fahrend, ehe wir unſer<lb/> Urtheil ſammeln, iſt uns in der Daͤmmerung der<lb/> Nacht, Wald und Baum, Nah und Fernes auf<lb/> Einem Grunde: nahe Rieſen, oder entfernte Zwer-<lb/> ge, und ſich auf uns bewegende Geſpenſter, bis<lb/> wir aufwachen und unſer Urtheil ſammeln. So-<lb/> dann ſehen wir erſt, wie wir durch <hi rendition="#fr">Gewohnheit</hi>,<lb/> aus <hi rendition="#fr">andern</hi> Sinnen, und inſonderheit durchs<lb/> taſtende Gefuͤhl ſehen <hi rendition="#fr">lernten</hi>. Ein Koͤrper, den<lb/> wir nie durchs Gefuͤhl als Koͤrper erkannt haͤtten,<lb/> oder auf deſſen Leibhaftigkeit wir nicht durch bloße<lb/> Aehnlichkeit ſchließen, bliebe uns ewig eine Hand-<lb/> habe Saturns, eine Binde Jupiters, d. i. Phaͤ-<lb/> nomenon, <hi rendition="#fr">Erſcheinung</hi>. Der Ophthalmit mit<lb/> tauſend Augen, ohne Gefuͤhl, ohne taſtende Hand,<lb/> bliebe Zeitlebens in Platons Hoͤle, und haͤtte von<lb/> keiner einzigen Koͤrpereigenſchaft, als ſolcher,<lb/> eigentlichen <hi rendition="#fr">Begriff</hi>.</p><lb/> <p>Denn alle Eigenſchaften der Koͤrper, was<lb/> ſind ſie, als Beziehungen derſelben auf unſern Koͤr-<lb/> per, auf unſer Gefuͤhl? Was Undurchdringlich-<lb/> keit, Haͤrte, Weichheit, Glaͤtte, Form, Geſtalt,<lb/> Rundheit ſei? davon kann mir ſo wenig mein<lb/> Auge durchs Licht, als meine Seele durch ſelbſt-<lb/> ſtaͤndig Denken einen leibhaften, lebendigen Be-<lb/> griff geben. Der Vogel, das Pferd, der Fiſch<lb/> hat ihn nicht; der Menſch hat ihn, weil er nebſt<lb/> ſeiner Vernunft auch die umfaſſende, taſtende<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Hand</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0014]
Tafel. Aus dem Schlafe fahrend, ehe wir unſer
Urtheil ſammeln, iſt uns in der Daͤmmerung der
Nacht, Wald und Baum, Nah und Fernes auf
Einem Grunde: nahe Rieſen, oder entfernte Zwer-
ge, und ſich auf uns bewegende Geſpenſter, bis
wir aufwachen und unſer Urtheil ſammeln. So-
dann ſehen wir erſt, wie wir durch Gewohnheit,
aus andern Sinnen, und inſonderheit durchs
taſtende Gefuͤhl ſehen lernten. Ein Koͤrper, den
wir nie durchs Gefuͤhl als Koͤrper erkannt haͤtten,
oder auf deſſen Leibhaftigkeit wir nicht durch bloße
Aehnlichkeit ſchließen, bliebe uns ewig eine Hand-
habe Saturns, eine Binde Jupiters, d. i. Phaͤ-
nomenon, Erſcheinung. Der Ophthalmit mit
tauſend Augen, ohne Gefuͤhl, ohne taſtende Hand,
bliebe Zeitlebens in Platons Hoͤle, und haͤtte von
keiner einzigen Koͤrpereigenſchaft, als ſolcher,
eigentlichen Begriff.
Denn alle Eigenſchaften der Koͤrper, was
ſind ſie, als Beziehungen derſelben auf unſern Koͤr-
per, auf unſer Gefuͤhl? Was Undurchdringlich-
keit, Haͤrte, Weichheit, Glaͤtte, Form, Geſtalt,
Rundheit ſei? davon kann mir ſo wenig mein
Auge durchs Licht, als meine Seele durch ſelbſt-
ſtaͤndig Denken einen leibhaften, lebendigen Be-
griff geben. Der Vogel, das Pferd, der Fiſch
hat ihn nicht; der Menſch hat ihn, weil er nebſt
ſeiner Vernunft auch die umfaſſende, taſtende
Hand
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