die Griechen konnten wohl auf ein Grabmahl Psyche und Amor, halb als Allegorie (sie waren aber mehr als solche, sie waren Geschichte) stellen und ließen das schöne Paar, jetzt in neuer Be- kanntschaft, sich schwesterlich küssen und umar- men. Jst irgend ein Ort, da man einen her- abgesunknen Engel erwartet, so ists am Grabe, über der lieben Asche unsrer Todten, wo Alles so still ist, wo kein Laut aus jener Welt hin- übertönet und wo wir doch so gern mehr als Asche fänden. Hier ist also auch wohl eine weinende oder tröstende Tugend zu ertragen, wenn sie, ihres Namens werth, nur als ein weiblicher Engel dasteht. Kann der Verstorbne oder die Verstorbne selbst in oder neben ihr gebildet wer- den, wie wirs erwarten, so ists freilich um so besser. Können würkliche Kinder, eine Ge- liebte, ein Weib daneben gebildet werden, so kehrt für Kunst und Denkmahl Wahrheit in die Züge, und also besser. -- Aber wehe, wenn diese Grabengel, die man der Menschlichkeit, als Denkmahl der Liebe und milde Gabe zuließ, nun Hauptwerk der Kunst werden sollen und gar gelehrte Abstraktionen und Allegorien, wie Gespenster, alles verscheuchen! Jsts sodenn nicht offenbares Zeichen der größten Dürftig- keit und Armuth, daß man nichts als solche habe? oder nur solche zu bilden vermöge?
Wie
die Griechen konnten wohl auf ein Grabmahl Pſyche und Amor, halb als Allegorie (ſie waren aber mehr als ſolche, ſie waren Geſchichte) ſtellen und ließen das ſchoͤne Paar, jetzt in neuer Be- kanntſchaft, ſich ſchweſterlich kuͤſſen und umar- men. Jſt irgend ein Ort, da man einen her- abgeſunknen Engel erwartet, ſo iſts am Grabe, uͤber der lieben Aſche unſrer Todten, wo Alles ſo ſtill iſt, wo kein Laut aus jener Welt hin- uͤbertoͤnet und wo wir doch ſo gern mehr als Aſche faͤnden. Hier iſt alſo auch wohl eine weinende oder troͤſtende Tugend zu ertragen, wenn ſie, ihres Namens werth, nur als ein weiblicher Engel daſteht. Kann der Verſtorbne oder die Verſtorbne ſelbſt in oder neben ihr gebildet wer- den, wie wirs erwarten, ſo iſts freilich um ſo beſſer. Koͤnnen wuͤrkliche Kinder, eine Ge- liebte, ein Weib daneben gebildet werden, ſo kehrt fuͤr Kunſt und Denkmahl Wahrheit in die Zuͤge, und alſo beſſer. — Aber wehe, wenn dieſe Grabengel, die man der Menſchlichkeit, als Denkmahl der Liebe und milde Gabe zuließ, nun Hauptwerk der Kunſt werden ſollen und gar gelehrte Abſtraktionen und Allegorien, wie Geſpenſter, alles verſcheuchen! Jſts ſodenn nicht offenbares Zeichen der groͤßten Duͤrftig- keit und Armuth, daß man nichts als ſolche habe? oder nur ſolche zu bilden vermoͤge?
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die Griechen konnten wohl auf ein Grabmahl
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men. Jſt irgend ein Ort, da man einen her-
abgeſunknen Engel erwartet, ſo iſts am Grabe,
uͤber der lieben Aſche unſrer Todten, wo Alles
ſo ſtill iſt, wo kein Laut aus jener Welt hin-
uͤbertoͤnet und wo wir doch ſo gern mehr als Aſche
faͤnden. Hier iſt alſo auch wohl eine weinende
oder troͤſtende Tugend zu ertragen, wenn ſie,
ihres Namens werth, nur als ein weiblicher
Engel daſteht. Kann der Verſtorbne oder die
Verſtorbne ſelbſt in oder neben ihr gebildet wer-
den, wie wirs erwarten, ſo iſts freilich um ſo
beſſer. Koͤnnen wuͤrkliche Kinder, eine Ge-
liebte, ein Weib daneben gebildet werden, ſo
kehrt fuͤr Kunſt und Denkmahl Wahrheit in die
Zuͤge, und alſo beſſer. — Aber wehe, wenn
dieſe Grabengel, die man der Menſchlichkeit,
als Denkmahl der Liebe und milde Gabe zuließ,
nun Hauptwerk der Kunſt werden ſollen und
gar gelehrte Abſtraktionen und Allegorien, wie
Geſpenſter, alles verſcheuchen! Jſts ſodenn
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/139>, abgerufen am 17.02.2025.
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