Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

ständen der Geschichte. Der Charakter des
Gottes und Helden (Allegorie genug) war dem
Künstler gegeben: den drückte er aus, das übri-
ge war ihm Unterstützung und Aufklärung dessel-
ben, oder historische, Lokal- und Tempel-
deutung
.

"So war denn den Griechen die Allegorie
"zuwider"? Nichts minder, sie war nur nicht
überall ihr Hauptwerk. Der Grieche fühlte es
zu gut, daß, um Allegorische Personen tanzen zu
lassen, man kein Theater bauen, kein Epos dich-
ten und keinen Marmorfels aushölen dörfe. Er
fühlte es zu gut, daß, wenn eine Allegorie schön
und lieb seyn soll, müste sie klein, simpel, schmal
umründet werden, ein Edelstein im Ringe --
kurz nicht den Kolossus, sondern die Gemme,
die Münze, die Urne, das Bas-relief wid-
mete man ihr, und da war sie an Stelle.

Gibt mir die Göttin Tyche (denn es ist bil-
lig, daß ich über die Allegorie auch allegorisi-
re) gibt sie mir Muße und Lust und Liebe, die
mehr als Muße ist, meine Flicke hingeworfner
Gedanken über die Anaglyphik zu sammeln;
ich freue mich, wenn ich an die Stunden denke,
die mir die simpelste Gruppe der Welt, die
Griechische Allegorie, einst verlieh. Da
werden wir Griechengeist in der niedlichsten Bil-
dersprache entdecken; hier, befürchte ich, ists

zu
J 3

ſtaͤnden der Geſchichte. Der Charakter des
Gottes und Helden (Allegorie genug) war dem
Kuͤnſtler gegeben: den druͤckte er aus, das uͤbri-
ge war ihm Unterſtuͤtzung und Aufklaͤrung deſſel-
ben, oder hiſtoriſche, Lokal- und Tempel-
deutung
.

„So war denn den Griechen die Allegorie
„zuwider„? Nichts minder, ſie war nur nicht
uͤberall ihr Hauptwerk. Der Grieche fuͤhlte es
zu gut, daß, um Allegoriſche Perſonen tanzen zu
laſſen, man kein Theater bauen, kein Epos dich-
ten und keinen Marmorfels aushoͤlen doͤrfe. Er
fuͤhlte es zu gut, daß, wenn eine Allegorie ſchoͤn
und lieb ſeyn ſoll, muͤſte ſie klein, ſimpel, ſchmal
umruͤndet werden, ein Edelſtein im Ringe —
kurz nicht den Koloſſus, ſondern die Gemme,
die Muͤnze, die Urne, das Bas-relief wid-
mete man ihr, und da war ſie an Stelle.

Gibt mir die Goͤttin Tyche (denn es iſt bil-
lig, daß ich uͤber die Allegorie auch allegoriſi-
re) gibt ſie mir Muße und Luſt und Liebe, die
mehr als Muße iſt, meine Flicke hingeworfner
Gedanken uͤber die Anaglyphik zu ſammeln;
ich freue mich, wenn ich an die Stunden denke,
die mir die ſimpelſte Gruppe der Welt, die
Griechiſche Allegorie, einſt verlieh. Da
werden wir Griechengeiſt in der niedlichſten Bil-
derſprache entdecken; hier, befuͤrchte ich, iſts

zu
J 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0136" n="133"/><hi rendition="#fr">&#x017F;ta&#x0364;nden der Ge&#x017F;chichte</hi>. Der Charakter des<lb/>
Gottes und Helden (Allegorie genug) war dem<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;tler <hi rendition="#fr">gegeben</hi>: den dru&#x0364;ckte er aus, das u&#x0364;bri-<lb/>
ge war ihm Unter&#x017F;tu&#x0364;tzung und Aufkla&#x0364;rung de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben, oder <hi rendition="#fr">hi&#x017F;tori&#x017F;che, Lokal-</hi> und <hi rendition="#fr">Tempel-<lb/>
deutung</hi>.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So war denn den Griechen die Allegorie<lb/>
&#x201E;zuwider&#x201E;? Nichts minder, &#x017F;ie war nur nicht<lb/>
u&#x0364;berall ihr <hi rendition="#fr">Hauptwerk</hi>. Der Grieche fu&#x0364;hlte es<lb/>
zu gut, daß, um Allegori&#x017F;che Per&#x017F;onen tanzen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, man kein Theater bauen, kein Epos dich-<lb/>
ten und keinen Marmorfels ausho&#x0364;len do&#x0364;rfe. Er<lb/>
fu&#x0364;hlte es zu gut, daß, wenn eine Allegorie &#x017F;cho&#x0364;n<lb/>
und lieb &#x017F;eyn &#x017F;oll, mu&#x0364;&#x017F;te &#x017F;ie klein, &#x017F;impel, &#x017F;chmal<lb/>
umru&#x0364;ndet werden, ein Edel&#x017F;tein im Ringe &#x2014;<lb/>
kurz nicht den Kolo&#x017F;&#x017F;us, &#x017F;ondern die <hi rendition="#fr">Gemme</hi>,<lb/>
die <hi rendition="#fr">Mu&#x0364;nze</hi>, die <hi rendition="#fr">Urne</hi>, das <hi rendition="#fr">Bas-relief</hi> wid-<lb/>
mete man ihr, und da war &#x017F;ie an Stelle.</p><lb/>
        <p>Gibt mir die Go&#x0364;ttin <hi rendition="#fr">Tyche</hi> (denn es i&#x017F;t bil-<lb/>
lig, daß ich u&#x0364;ber die Allegorie auch allegori&#x017F;i-<lb/>
re) gibt &#x017F;ie mir Muße und Lu&#x017F;t und Liebe, die<lb/>
mehr als Muße i&#x017F;t, meine Flicke hingeworfner<lb/>
Gedanken u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">Anaglyphik</hi> zu &#x017F;ammeln;<lb/>
ich freue mich, wenn ich an die Stunden denke,<lb/>
die mir die &#x017F;impel&#x017F;te Gruppe der Welt, die<lb/><hi rendition="#fr">Griechi&#x017F;che Allegorie</hi>, ein&#x017F;t verlieh. Da<lb/>
werden wir Griechengei&#x017F;t in der niedlich&#x017F;ten Bil-<lb/>
der&#x017F;prache entdecken; hier, befu&#x0364;rchte ich, i&#x017F;ts<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 3</fw><fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0136] ſtaͤnden der Geſchichte. Der Charakter des Gottes und Helden (Allegorie genug) war dem Kuͤnſtler gegeben: den druͤckte er aus, das uͤbri- ge war ihm Unterſtuͤtzung und Aufklaͤrung deſſel- ben, oder hiſtoriſche, Lokal- und Tempel- deutung. „So war denn den Griechen die Allegorie „zuwider„? Nichts minder, ſie war nur nicht uͤberall ihr Hauptwerk. Der Grieche fuͤhlte es zu gut, daß, um Allegoriſche Perſonen tanzen zu laſſen, man kein Theater bauen, kein Epos dich- ten und keinen Marmorfels aushoͤlen doͤrfe. Er fuͤhlte es zu gut, daß, wenn eine Allegorie ſchoͤn und lieb ſeyn ſoll, muͤſte ſie klein, ſimpel, ſchmal umruͤndet werden, ein Edelſtein im Ringe — kurz nicht den Koloſſus, ſondern die Gemme, die Muͤnze, die Urne, das Bas-relief wid- mete man ihr, und da war ſie an Stelle. Gibt mir die Goͤttin Tyche (denn es iſt bil- lig, daß ich uͤber die Allegorie auch allegoriſi- re) gibt ſie mir Muße und Luſt und Liebe, die mehr als Muße iſt, meine Flicke hingeworfner Gedanken uͤber die Anaglyphik zu ſammeln; ich freue mich, wenn ich an die Stunden denke, die mir die ſimpelſte Gruppe der Welt, die Griechiſche Allegorie, einſt verlieh. Da werden wir Griechengeiſt in der niedlichſten Bil- derſprache entdecken; hier, befuͤrchte ich, iſts zu J 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/136
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/136>, abgerufen am 27.11.2024.