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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen,
ob und wie die Griechen ihre Bildnerei von ei-
nem fremden Volk erhielten? sondern was sie
aus ihr machten und wozu sie, da sich die
Kunst formte, dieselbe geschaffen glaubten?
Jupiters drittes Auge vor der Stirn blieb in
den Zeiten der Kunst weg, denn es war ein
Allegorisches und kein natürliches Auge. Die
Gestalt selbst muste Jupiter seyn: das übrige
konnte Dichter, Priester oder jeder dazu sagen,
ders wollte.

Wenn also die Ausleger und Zeichendeuter
mit Deutung der Attribute so fein und reich
sind: so lasse ichs zwar als Witz und Poem gel-
ten; zweifle aber, ob der Griechische Künstler
oder Priester oder Anbeter das dabei dachten?
Es war meistens ein historischer Umstand, der
dem Gott einen eignen Namen gab und den nun
dies eigne Attribut bezeichnen sollte. "Du bist
"nicht Jupiter, du, sondern mein, unser Ju-
"piter, der du da warst"! also eigentlich ein
Abgott. Je feiner meistens die Auslegung der
Allegorie, desto unwahrer. --

Freilich war um einen Gott und Helden so
leicht nichts, was nicht Gedanken erweckte, und
bei den Griechen warens treffende, natürliche
Gedanken; nur nicht aus Abstrakten, nicht
aus gedichteter Allegorie, sondern aus Um-

stän-

Es iſt hier nicht der Ort, zu unterſuchen,
ob und wie die Griechen ihre Bildnerei von ei-
nem fremden Volk erhielten? ſondern was ſie
aus ihr machten und wozu ſie, da ſich die
Kunſt formte, dieſelbe geſchaffen glaubten?
Jupiters drittes Auge vor der Stirn blieb in
den Zeiten der Kunſt weg, denn es war ein
Allegoriſches und kein natuͤrliches Auge. Die
Geſtalt ſelbſt muſte Jupiter ſeyn: das uͤbrige
konnte Dichter, Prieſter oder jeder dazu ſagen,
ders wollte.

Wenn alſo die Ausleger und Zeichendeuter
mit Deutung der Attribute ſo fein und reich
ſind: ſo laſſe ichs zwar als Witz und Poem gel-
ten; zweifle aber, ob der Griechiſche Kuͤnſtler
oder Prieſter oder Anbeter das dabei dachten?
Es war meiſtens ein hiſtoriſcher Umſtand, der
dem Gott einen eignen Namen gab und den nun
dies eigne Attribut bezeichnen ſollte. „Du biſt
„nicht Jupiter, du, ſondern mein, unſer Ju-
„piter, der du da warſt„! alſo eigentlich ein
Abgott. Je feiner meiſtens die Auslegung der
Allegorie, deſto unwahrer. —

Freilich war um einen Gott und Helden ſo
leicht nichts, was nicht Gedanken erweckte, und
bei den Griechen warens treffende, natuͤrliche
Gedanken; nur nicht aus Abſtrakten, nicht
aus gedichteter Allegorie, ſondern aus Um-

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[132/0135] Es iſt hier nicht der Ort, zu unterſuchen, ob und wie die Griechen ihre Bildnerei von ei- nem fremden Volk erhielten? ſondern was ſie aus ihr machten und wozu ſie, da ſich die Kunſt formte, dieſelbe geſchaffen glaubten? Jupiters drittes Auge vor der Stirn blieb in den Zeiten der Kunſt weg, denn es war ein Allegoriſches und kein natuͤrliches Auge. Die Geſtalt ſelbſt muſte Jupiter ſeyn: das uͤbrige konnte Dichter, Prieſter oder jeder dazu ſagen, ders wollte. Wenn alſo die Ausleger und Zeichendeuter mit Deutung der Attribute ſo fein und reich ſind: ſo laſſe ichs zwar als Witz und Poem gel- ten; zweifle aber, ob der Griechiſche Kuͤnſtler oder Prieſter oder Anbeter das dabei dachten? Es war meiſtens ein hiſtoriſcher Umſtand, der dem Gott einen eignen Namen gab und den nun dies eigne Attribut bezeichnen ſollte. „Du biſt „nicht Jupiter, du, ſondern mein, unſer Ju- „piter, der du da warſt„! alſo eigentlich ein Abgott. Je feiner meiſtens die Auslegung der Allegorie, deſto unwahrer. — Freilich war um einen Gott und Helden ſo leicht nichts, was nicht Gedanken erweckte, und bei den Griechen warens treffende, natuͤrliche Gedanken; nur nicht aus Abſtrakten, nicht aus gedichteter Allegorie, ſondern aus Um- ſtaͤn-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/135>, abgerufen am 23.11.2024.