was da steht, eine Fläche, ein Nebeneinander aller und der verschiedensten sichtbaren Gegenstände zeichnen. Dinge hinter einander, oder solide, massive Dinge als solche dem Auge zu geben, ist so unmöglich, als den Liebhaber hinter der dicken Tapete, den Bauer innerhalb der Windmühle singend zu mahlen.
Die weite Gegend, die ich vor mir sehe, was ist sie mit allen ihren Erscheinungen, als Bild, Fläche? Jener sich herab senkende Himmel und jener Wald, der sich in ihn verliert, und jenes hingebreitete Feld, und dies nähere Wasser, und dieser Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen Bildes -- sind Bild, Tafel, ein Continuum neben einander. Jeder Gegenstand zeigt mir gerade so viel von sich, als der Spiegel von mir selbst zeigt, das ist, Figur, Vorderseite; daß ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erken- nen, oder aus Jdeen schließen.
Warum solls also Wunder seyn, daß Blinde, denen ihr Gesicht gegeben wurde, nichts als ein Bilderhaus, eine gefärbte Fläche richt vor sich sahen? sehen wir doch alle nichts mehr, wenn wirs nicht auf andern Wegen fänden. Ein Kind sieht Himmel und Wiege, Mond und Amme neben einander, es greift nach dem Monde, wie nach der Amme, denn alles ist ihm Bild auf Einer
Tafel.
was da ſteht, eine Flaͤche, ein Nebeneinander aller und der verſchiedenſten ſichtbaren Gegenſtaͤnde zeichnen. Dinge hinter einander, oder ſolide, maſſive Dinge als ſolche dem Auge zu geben, iſt ſo unmoͤglich, als den Liebhaber hinter der dicken Tapete, den Bauer innerhalb der Windmuͤhle ſingend zu mahlen.
Die weite Gegend, die ich vor mir ſehe, was iſt ſie mit allen ihren Erſcheinungen, als Bild, Flaͤche? Jener ſich herab ſenkende Himmel und jener Wald, der ſich in ihn verliert, und jenes hingebreitete Feld, und dies naͤhere Waſſer, und dieſer Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen Bildes — ſind Bild, Tafel, ein Continuum neben einander. Jeder Gegenſtand zeigt mir gerade ſo viel von ſich, als der Spiegel von mir ſelbſt zeigt, das iſt, Figur, Vorderſeite; daß ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erken- nen, oder aus Jdeen ſchließen.
Warum ſolls alſo Wunder ſeyn, daß Blinde, denen ihr Geſicht gegeben wurde, nichts als ein Bilderhaus, eine gefaͤrbte Flaͤche richt vor ſich ſahen? ſehen wir doch alle nichts mehr, wenn wirs nicht auf andern Wegen faͤnden. Ein Kind ſieht Himmel und Wiege, Mond und Amme neben einander, es greift nach dem Monde, wie nach der Amme, denn alles iſt ihm Bild auf Einer
Tafel.
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[10/0013]
was da ſteht, eine Flaͤche, ein Nebeneinander
aller und der verſchiedenſten ſichtbaren Gegenſtaͤnde
zeichnen. Dinge hinter einander, oder ſolide,
maſſive Dinge als ſolche dem Auge zu geben, iſt
ſo unmoͤglich, als den Liebhaber hinter der dicken
Tapete, den Bauer innerhalb der Windmuͤhle
ſingend zu mahlen.
Die weite Gegend, die ich vor mir ſehe, was
iſt ſie mit allen ihren Erſcheinungen, als Bild,
Flaͤche? Jener ſich herab ſenkende Himmel und
jener Wald, der ſich in ihn verliert, und jenes
hingebreitete Feld, und dies naͤhere Waſſer, und
dieſer Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen
Bildes — ſind Bild, Tafel, ein Continuum
neben einander. Jeder Gegenſtand zeigt mir
gerade ſo viel von ſich, als der Spiegel von mir
ſelbſt zeigt, das iſt, Figur, Vorderſeite; daß
ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erken-
nen, oder aus Jdeen ſchließen.
Warum ſolls alſo Wunder ſeyn, daß Blinde,
denen ihr Geſicht gegeben wurde, nichts als ein
Bilderhaus, eine gefaͤrbte Flaͤche richt vor ſich
ſahen? ſehen wir doch alle nichts mehr, wenn wirs
nicht auf andern Wegen faͤnden. Ein Kind ſieht
Himmel und Wiege, Mond und Amme neben
einander, es greift nach dem Monde, wie nach
der Amme, denn alles iſt ihm Bild auf Einer
Tafel.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/13>, abgerufen am 16.02.2025.
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