Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

dann Handwerk, und endlich, die Grundsuppe
von Allem, Kennerei, Trödelkram und Kunst-
gewäsche
. Die Dädalus und Phidias gehen
vor, die Praxiteles, Myrons und Lisyppe folgen;
sodann wirds Nachklang oder Nachschmack oder
noch etwas Aergers. Niemals gelingts uns
hier, die Zeiten umzukehren, und es ist thö-
richt, die Dädale in Lysippen umschaffen zu wol-
len. Sind jene erst da, so werden diese kom-
men, denn ohne jene konnten diese nicht wer-
den
. Die gerade Linie bleibt immer die er-
ste und Hauptlinie, um die sich der Reiz nur
schwinget.

2. Kolossalische Figuren sind der bildenden
Kunst nicht fremde und unnatürlich, sondern
vielmehr gerade ihr eigen, ihres Ursprungs und
Wesens. Die Bildsäule steht in keinem Lichte,
sie gibt sich selbst Licht; in keinem Raume, sie
gibt sich selbst Raum. Folglich sollte man sie
hier mit der Mahlerei auch nur nicht verglei-
chen
, die ja auf der Fläche, auf einer gegeb-
nen, übersehbaren Lichttafel, und ja alles nur
aus Einem Gesichtspunkt schildert. Die bil-
dende Kunst hat keinen Gesichtspunkt: sie erta-
stet sich Alles Glieder- und Formenweise im
Dunkel; gleich viel also, ob sie etwas langsamer
und länger taste. Ja nicht blos gleich viel; son-
dern der Eindruck von Größe, Ehrfurcht, und

unüber-

dann Handwerk, und endlich, die Grundſuppe
von Allem, Kennerei, Troͤdelkram und Kunſt-
gewaͤſche
. Die Daͤdalus und Phidias gehen
vor, die Praxiteles, Myrons und Liſyppe folgen;
ſodann wirds Nachklang oder Nachſchmack oder
noch etwas Aergers. Niemals gelingts uns
hier, die Zeiten umzukehren, und es iſt thoͤ-
richt, die Daͤdale in Lyſippen umſchaffen zu wol-
len. Sind jene erſt da, ſo werden dieſe kom-
men, denn ohne jene konnten dieſe nicht wer-
den
. Die gerade Linie bleibt immer die er-
ſte und Hauptlinie, um die ſich der Reiz nur
ſchwinget.

2. Koloſſaliſche Figuren ſind der bildenden
Kunſt nicht fremde und unnatuͤrlich, ſondern
vielmehr gerade ihr eigen, ihres Urſprungs und
Weſens. Die Bildſaͤule ſteht in keinem Lichte,
ſie gibt ſich ſelbſt Licht; in keinem Raume, ſie
gibt ſich ſelbſt Raum. Folglich ſollte man ſie
hier mit der Mahlerei auch nur nicht verglei-
chen
, die ja auf der Flaͤche, auf einer gegeb-
nen, uͤberſehbaren Lichttafel, und ja alles nur
aus Einem Geſichtspunkt ſchildert. Die bil-
dende Kunſt hat keinen Geſichtspunkt: ſie erta-
ſtet ſich Alles Glieder- und Formenweiſe im
Dunkel; gleich viel alſo, ob ſie etwas langſamer
und laͤnger taſte. Ja nicht blos gleich viel; ſon-
dern der Eindruck von Groͤße, Ehrfurcht, und

unuͤber-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="120"/>
dann <hi rendition="#fr">Handwerk</hi>, und endlich, die Grund&#x017F;uppe<lb/>
von Allem, <hi rendition="#fr">Kennerei, Tro&#x0364;delkram</hi> und <hi rendition="#fr">Kun&#x017F;t-<lb/>
gewa&#x0364;&#x017F;che</hi>. Die Da&#x0364;dalus und Phidias gehen<lb/>
vor, die Praxiteles, Myrons und Li&#x017F;yppe folgen;<lb/>
&#x017F;odann wirds Nachklang oder Nach&#x017F;chmack oder<lb/>
noch etwas Aergers. Niemals gelingts uns<lb/>
hier, die Zeiten umzukehren, und es i&#x017F;t tho&#x0364;-<lb/>
richt, die Da&#x0364;dale in Ly&#x017F;ippen um&#x017F;chaffen zu wol-<lb/>
len. Sind jene er&#x017F;t da, &#x017F;o werden die&#x017F;e kom-<lb/>
men, denn ohne jene konnten die&#x017F;e nicht <hi rendition="#fr">wer-<lb/>
den</hi>. Die gerade Linie bleibt immer die er-<lb/>
&#x017F;te und Hauptlinie, um die &#x017F;ich der Reiz nur<lb/>
&#x017F;chwinget.</p><lb/>
        <p>2. <hi rendition="#fr">Kolo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;che Figuren</hi> &#x017F;ind der bildenden<lb/>
Kun&#x017F;t nicht fremde und unnatu&#x0364;rlich, &#x017F;ondern<lb/>
vielmehr gerade ihr <hi rendition="#fr">eigen</hi>, ihres <hi rendition="#fr">Ur&#x017F;prungs</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">We&#x017F;ens</hi>. Die Bild&#x017F;a&#x0364;ule &#x017F;teht in keinem Lichte,<lb/>
&#x017F;ie gibt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Licht; in keinem Raume, &#x017F;ie<lb/>
gibt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t Raum. Folglich &#x017F;ollte man &#x017F;ie<lb/>
hier mit der Mahlerei auch nur nicht <hi rendition="#fr">verglei-<lb/>
chen</hi>, die ja auf der <hi rendition="#fr">Fla&#x0364;che</hi>, auf einer gegeb-<lb/>
nen, u&#x0364;ber&#x017F;ehbaren <hi rendition="#fr">Lichttafel</hi>, und ja alles nur<lb/>
aus <hi rendition="#fr">Einem</hi> Ge&#x017F;ichtspunkt &#x017F;childert. Die bil-<lb/>
dende Kun&#x017F;t hat keinen Ge&#x017F;ichtspunkt: &#x017F;ie erta-<lb/>
&#x017F;tet &#x017F;ich Alles Glieder- und Formenwei&#x017F;e im<lb/>
Dunkel; gleich viel al&#x017F;o, ob &#x017F;ie etwas lang&#x017F;amer<lb/>
und la&#x0364;nger ta&#x017F;te. Ja nicht blos gleich viel; &#x017F;on-<lb/>
dern der Eindruck von <hi rendition="#fr">Gro&#x0364;ße, Ehrfurcht</hi>, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">unu&#x0364;ber-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0123] dann Handwerk, und endlich, die Grundſuppe von Allem, Kennerei, Troͤdelkram und Kunſt- gewaͤſche. Die Daͤdalus und Phidias gehen vor, die Praxiteles, Myrons und Liſyppe folgen; ſodann wirds Nachklang oder Nachſchmack oder noch etwas Aergers. Niemals gelingts uns hier, die Zeiten umzukehren, und es iſt thoͤ- richt, die Daͤdale in Lyſippen umſchaffen zu wol- len. Sind jene erſt da, ſo werden dieſe kom- men, denn ohne jene konnten dieſe nicht wer- den. Die gerade Linie bleibt immer die er- ſte und Hauptlinie, um die ſich der Reiz nur ſchwinget. 2. Koloſſaliſche Figuren ſind der bildenden Kunſt nicht fremde und unnatuͤrlich, ſondern vielmehr gerade ihr eigen, ihres Urſprungs und Weſens. Die Bildſaͤule ſteht in keinem Lichte, ſie gibt ſich ſelbſt Licht; in keinem Raume, ſie gibt ſich ſelbſt Raum. Folglich ſollte man ſie hier mit der Mahlerei auch nur nicht verglei- chen, die ja auf der Flaͤche, auf einer gegeb- nen, uͤberſehbaren Lichttafel, und ja alles nur aus Einem Geſichtspunkt ſchildert. Die bil- dende Kunſt hat keinen Geſichtspunkt: ſie erta- ſtet ſich Alles Glieder- und Formenweiſe im Dunkel; gleich viel alſo, ob ſie etwas langſamer und laͤnger taſte. Ja nicht blos gleich viel; ſon- dern der Eindruck von Groͤße, Ehrfurcht, und unuͤber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/123
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/123>, abgerufen am 24.11.2024.