Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



bauet: Geschlechter und Familien, Herr und
Knecht, König und Unterthan drang stärker
und näher an einander: die so genannten ro-
hen Landsitze hinderten das üppige ungesun-
de Zunehmen
der Städte, dieser Abgründe
für die Lebenskräfte der Menschheit: der
Mangel des Handels und der Feinheit ver-
hinderte Ausgelassenheit und erhielt simple
Menschheit -- Keuschheit und Fruchtbarkeit
in Ehen, Armuth und Fleiß und Zusammen-
drang
in Häusern. Die rohen Zünfte und
Freyherrlichkeiten, machten Ritter- und Hand-
werksstolz,
aber zugleich Zutrauen auf sich,
Festigkeit
in seinem Kreise, Mannheit auf
seinem Mittelpunkte, wehrte, der ärgsten Pla-
ge der Menschheit, dem Land- und Seelenjo-
che,
unter das offenbar, seitdem alle Jnseln
aufgelöst sind, alles mit froh und freyem Mu-
the sinkt. Da konnten in etwas spätern Zei-
ten denn soviel kriegerische Republiken und
wehrhafte Städte werden! erst waren die
Kräfte gepflanzt, genährt und durch Reiben
erzogen, von denen im traurigen Reste, ihr
noch jetzo lebt. Hätte euch der Himmel die
barbarischen Zeiten nicht vorhergesandt und sie
so lange unter so mancherley Würfen und Stös-
sen erhalten -- armes, policirtes Europa, das

seine
F 2



bauet: Geſchlechter und Familien, Herr und
Knecht, Koͤnig und Unterthan drang ſtaͤrker
und naͤher an einander: die ſo genannten ro-
hen Landſitze hinderten das uͤppige ungeſun-
de Zunehmen
der Staͤdte, dieſer Abgruͤnde
fuͤr die Lebenskraͤfte der Menſchheit: der
Mangel des Handels und der Feinheit ver-
hinderte Ausgelaſſenheit und erhielt ſimple
Menſchheit — Keuſchheit und Fruchtbarkeit
in Ehen, Armuth und Fleiß und Zuſammen-
drang
in Haͤuſern. Die rohen Zuͤnfte und
Freyherrlichkeiten, machten Ritter- und Hand-
werksſtolz,
aber zugleich Zutrauen auf ſich,
Feſtigkeit
in ſeinem Kreiſe, Mannheit auf
ſeinem Mittelpunkte, wehrte, der aͤrgſten Pla-
ge der Menſchheit, dem Land- und Seelenjo-
che,
unter das offenbar, ſeitdem alle Jnſeln
aufgeloͤſt ſind, alles mit froh und freyem Mu-
the ſinkt. Da konnten in etwas ſpaͤtern Zei-
ten denn ſoviel kriegeriſche Republiken und
wehrhafte Staͤdte werden! erſt waren die
Kraͤfte gepflanzt, genaͤhrt und durch Reiben
erzogen, von denen im traurigen Reſte, ihr
noch jetzo lebt. Haͤtte euch der Himmel die
barbariſchen Zeiten nicht vorhergeſandt und ſie
ſo lange unter ſo mancherley Wuͤrfen und Stoͤſ-
ſen erhalten — armes, policirtes Europa, das

ſeine
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="83"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw><hi rendition="#b">bauet:</hi> Ge&#x017F;chlechter und Familien, Herr und<lb/>
Knecht, Ko&#x0364;nig und Unterthan drang <hi rendition="#b">&#x017F;ta&#x0364;rker</hi><lb/>
und <hi rendition="#b">na&#x0364;her</hi> an einander: die &#x017F;o genannten ro-<lb/>
hen Land&#x017F;itze hinderten das <hi rendition="#b">u&#x0364;ppige unge&#x017F;un-<lb/>
de Zunehmen</hi> der <hi rendition="#b">Sta&#x0364;dte,</hi> die&#x017F;er Abgru&#x0364;nde<lb/>
fu&#x0364;r die Lebenskra&#x0364;fte der Men&#x017F;chheit: der<lb/>
Mangel des <hi rendition="#b">Handels</hi> und der <hi rendition="#b">Feinheit</hi> ver-<lb/>
hinderte <hi rendition="#b">Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit</hi> und erhielt &#x017F;imple<lb/>
Men&#x017F;chheit &#x2014; <hi rendition="#b">Keu&#x017F;chheit</hi> und <hi rendition="#b">Fruchtbarkeit</hi><lb/>
in Ehen, <hi rendition="#b">Armuth</hi> und <hi rendition="#b">Fleiß</hi> und <hi rendition="#b">Zu&#x017F;ammen-<lb/>
drang</hi> in <hi rendition="#b">Ha&#x0364;u&#x017F;ern.</hi> Die rohen Zu&#x0364;nfte und<lb/><hi rendition="#b">Freyherrlichkeiten,</hi> machten <hi rendition="#b">Ritter-</hi> und <hi rendition="#b">Hand-<lb/>
werks&#x017F;tolz,</hi> aber zugleich <hi rendition="#b">Zutrauen auf &#x017F;ich,<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit</hi> in <hi rendition="#b">&#x017F;einem Krei&#x017F;e, Mannheit</hi> auf<lb/>
&#x017F;einem <hi rendition="#b">Mittelpunkte,</hi> wehrte, der a&#x0364;rg&#x017F;ten Pla-<lb/>
ge der Men&#x017F;chheit, dem <hi rendition="#b">Land-</hi> und <hi rendition="#b">Seelenjo-<lb/>
che,</hi> unter das offenbar, &#x017F;eitdem alle Jn&#x017F;eln<lb/>
aufgelo&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ind, alles mit froh und freyem Mu-<lb/>
the &#x017F;inkt. Da konnten in etwas &#x017F;pa&#x0364;tern Zei-<lb/>
ten denn &#x017F;oviel <hi rendition="#b">kriegeri&#x017F;che Republiken</hi> und<lb/><hi rendition="#b">wehrhafte Sta&#x0364;dte</hi> werden! er&#x017F;t waren die<lb/>
Kra&#x0364;fte <hi rendition="#b">gepflanzt, gena&#x0364;hrt</hi> und durch Reiben<lb/><hi rendition="#b">erzogen,</hi> von denen im traurigen Re&#x017F;te, ihr<lb/>
noch jetzo lebt. Ha&#x0364;tte euch der Himmel die<lb/>
barbari&#x017F;chen Zeiten nicht vorherge&#x017F;andt und &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;o lange unter &#x017F;o mancherley Wu&#x0364;rfen und Sto&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en erhalten &#x2014; armes, policirtes Europa, das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eine</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0087] bauet: Geſchlechter und Familien, Herr und Knecht, Koͤnig und Unterthan drang ſtaͤrker und naͤher an einander: die ſo genannten ro- hen Landſitze hinderten das uͤppige ungeſun- de Zunehmen der Staͤdte, dieſer Abgruͤnde fuͤr die Lebenskraͤfte der Menſchheit: der Mangel des Handels und der Feinheit ver- hinderte Ausgelaſſenheit und erhielt ſimple Menſchheit — Keuſchheit und Fruchtbarkeit in Ehen, Armuth und Fleiß und Zuſammen- drang in Haͤuſern. Die rohen Zuͤnfte und Freyherrlichkeiten, machten Ritter- und Hand- werksſtolz, aber zugleich Zutrauen auf ſich, Feſtigkeit in ſeinem Kreiſe, Mannheit auf ſeinem Mittelpunkte, wehrte, der aͤrgſten Pla- ge der Menſchheit, dem Land- und Seelenjo- che, unter das offenbar, ſeitdem alle Jnſeln aufgeloͤſt ſind, alles mit froh und freyem Mu- the ſinkt. Da konnten in etwas ſpaͤtern Zei- ten denn ſoviel kriegeriſche Republiken und wehrhafte Staͤdte werden! erſt waren die Kraͤfte gepflanzt, genaͤhrt und durch Reiben erzogen, von denen im traurigen Reſte, ihr noch jetzo lebt. Haͤtte euch der Himmel die barbariſchen Zeiten nicht vorhergeſandt und ſie ſo lange unter ſo mancherley Wuͤrfen und Stoͤſ- ſen erhalten — armes, policirtes Europa, das ſeine F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/87
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/87>, abgerufen am 22.11.2024.