Gut hat auch hier die gute Mutter gesorgt. Sie legte Anlagen zu der Mannichfaltigkeit ins Herz, machte jede aber an sich selbst so wenig dringend, daß wenn nur einige befrie- digt werden, sich die Seele bald aus diesen erweckten Tönen ein Koncert bildet, und die unerweckten nicht fühlet, als wiefern sie stumm und dunkel, den lautenden Gesang unterstützen. Sie legte Anlagen von Man- nichfaltigkeit ins Herz, nun einen Theil der Mannichfaltigkeit im Kreise um uns, uns zu Händen: nun mäßigte sie den menschlichen Blick, daß nach einer kleinen Zeit der Ge- wohnheit ihm dieser Kreis, Horizont wurde. Nicht drüber zu blicken: kaum drüber zu ahn- den! alles was mit meiner Natur noch gleich- artig ist, was in sie aßimilirt werden kann, beneide ich, strebs an, mache mirs zu eigen; darüber hinaus hat mich die gütige Natur mit Fühllosigkeit, Kälte und Blindheit bewaf- net; -- sie kann gar Verachtung und Eckel werden -- hat aber nur zum Zweck, mich auf mich selbst zurückzustoßen, mir auf dem Mit- telpunkt Gnüge zu geben, der mich trägt. Der Grieche macht sich so viel vom Aegypter, der Römer vom Griechen zu eigen, als er für sich braucht: er ist gesättigt, das übrige fällt
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Gut hat auch hier die gute Mutter geſorgt. Sie legte Anlagen zu der Mannichfaltigkeit ins Herz, machte jede aber an ſich ſelbſt ſo wenig dringend, daß wenn nur einige befrie- digt werden, ſich die Seele bald aus dieſen erweckten Toͤnen ein Koncert bildet, und die unerweckten nicht fuͤhlet, als wiefern ſie ſtumm und dunkel, den lautenden Geſang unterſtuͤtzen. Sie legte Anlagen von Man- nichfaltigkeit ins Herz, nun einen Theil der Mannichfaltigkeit im Kreiſe um uns, uns zu Haͤnden: nun maͤßigte ſie den menſchlichen Blick, daß nach einer kleinen Zeit der Ge- wohnheit ihm dieſer Kreis, Horizont wurde. Nicht druͤber zu blicken: kaum druͤber zu ahn- den! alles was mit meiner Natur noch gleich- artig iſt, was in ſie aßimilirt werden kann, beneide ich, ſtrebs an, mache mirs zu eigen; daruͤber hinaus hat mich die guͤtige Natur mit Fuͤhlloſigkeit, Kaͤlte und Blindheit bewaf- net; — ſie kann gar Verachtung und Eckel werden — hat aber nur zum Zweck, mich auf mich ſelbſt zuruͤckzuſtoßen, mir auf dem Mit- telpunkt Gnuͤge zu geben, der mich traͤgt. Der Grieche macht ſich ſo viel vom Aegypter, der Roͤmer vom Griechen zu eigen, als er fuͤr ſich braucht: er iſt geſaͤttigt, das uͤbrige faͤllt
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Gut hat auch hier die gute Mutter geſorgt.
Sie legte Anlagen zu der Mannichfaltigkeit
ins Herz, machte jede aber an ſich ſelbſt ſo
wenig dringend, daß wenn nur einige befrie-
digt werden, ſich die Seele bald aus dieſen
erweckten Toͤnen ein Koncert bildet, und die
unerweckten nicht fuͤhlet, als wiefern ſie
ſtumm und dunkel, den lautenden Geſang
unterſtuͤtzen. Sie legte Anlagen von Man-
nichfaltigkeit ins Herz, nun einen Theil der
Mannichfaltigkeit im Kreiſe um uns, uns zu
Haͤnden: nun maͤßigte ſie den menſchlichen
Blick, daß nach einer kleinen Zeit der Ge-
wohnheit ihm dieſer Kreis, Horizont wurde.
Nicht druͤber zu blicken: kaum druͤber zu ahn-
den! alles was mit meiner Natur noch gleich-
artig iſt, was in ſie aßimilirt werden kann,
beneide ich, ſtrebs an, mache mirs zu eigen;
daruͤber hinaus hat mich die guͤtige Natur mit
Fuͤhlloſigkeit, Kaͤlte und Blindheit bewaf-
net; — ſie kann gar Verachtung und Eckel
werden — hat aber nur zum Zweck, mich auf
mich ſelbſt zuruͤckzuſtoßen, mir auf dem Mit-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/61>, abgerufen am 16.07.2024.
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