[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.wurde, wards in kurzem "Fabel, schön aus- "gedehnt, beschwatzet, gedichtet und neuge- "dichtet -- Jünglingstraum und Mädchen- sage!" Die morgenländische Weisheit, dem Vorhange der Mysterien entnommen, ein schön Geschwätz, Lehrgebäude und Zänkerey der griechischen Schulen und Märkte. Der ägyptischen Kunst ward ihr schweres Hand- werksgewand entnommen und so verlohr sich auch das zu genaue Mechanische und Künst- lerstrenge, wornach die Griechen nicht streb- ten: der Koloß erniederte sich zur Bildsäule: der Riesentempel zum Schauplatz: ägyptische Ordnung und Sicherheit ließ in dem Vielfa- chen Griechenlands von selbst nach. Jener alte Priester konnte in mehr als einem Betracht sagen "o ihr ewigen Kinder, die ihr nichts "wißt und so viel schwatzt, nichts habt, und "alles so schön vorzeiget" und der alte Mor- genländer aus seiner Patriarchenhütte würde noch heftiger sprechen -- ihnen statt Religion, Menschheit und Tugend, nur Bulerey mit alle dem Schuld geben können u. s. w. Seys. Das menschliche Gefäß ist einmal keiner Voll- kommenheit fähig: muß immer verlassen, in- dem es weiter rückt. Griechenland rückte wei- C 3
wurde, wards in kurzem „Fabel, ſchoͤn aus- „gedehnt, beſchwatzet, gedichtet und neuge- „dichtet — Juͤnglingstraum und Maͤdchen- ſage!„ Die morgenlaͤndiſche Weisheit, dem Vorhange der Myſterien entnommen, ein ſchoͤn Geſchwaͤtz, Lehrgebaͤude und Zaͤnkerey der griechiſchen Schulen und Maͤrkte. Der aͤgyptiſchen Kunſt ward ihr ſchweres Hand- werksgewand entnommen und ſo verlohr ſich auch das zu genaue Mechaniſche und Kuͤnſt- lerſtrenge, wornach die Griechen nicht ſtreb- ten: der Koloß erniederte ſich zur Bildſaͤule: der Rieſentempel zum Schauplatz: aͤgyptiſche Ordnung und Sicherheit ließ in dem Vielfa- chen Griechenlands von ſelbſt nach. Jener alte Prieſter konnte in mehr als einem Betracht ſagen „o ihr ewigen Kinder, die ihr nichts „wißt und ſo viel ſchwatzt, nichts habt, und „alles ſo ſchoͤn vorzeiget„ und der alte Mor- genlaͤnder aus ſeiner Patriarchenhuͤtte wuͤrde noch heftiger ſprechen — ihnen ſtatt Religion, Menſchheit und Tugend, nur Bulerey mit alle dem Schuld geben koͤnnen u. ſ. w. Seys. Das menſchliche Gefaͤß iſt einmal keiner Voll- kommenheit faͤhig: muß immer verlaſſen, in- dem es weiter ruͤckt. Griechenland ruͤckte wei- C 3
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Markt, und Tanzplatz Schau getragen
wurde, wards in kurzem „Fabel, ſchoͤn aus-
„gedehnt, beſchwatzet, gedichtet und neuge-
„dichtet — Juͤnglingstraum und Maͤdchen-
ſage!„ Die morgenlaͤndiſche Weisheit, dem
Vorhange der Myſterien entnommen, ein ſchoͤn
Geſchwaͤtz, Lehrgebaͤude und Zaͤnkerey
der griechiſchen Schulen und Maͤrkte. Der
aͤgyptiſchen Kunſt ward ihr ſchweres Hand-
werksgewand entnommen und ſo verlohr ſich
auch das zu genaue Mechaniſche und Kuͤnſt-
lerſtrenge, wornach die Griechen nicht ſtreb-
ten: der Koloß erniederte ſich zur Bildſaͤule:
der Rieſentempel zum Schauplatz: aͤgyptiſche
Ordnung und Sicherheit ließ in dem Vielfa-
chen Griechenlands von ſelbſt nach. Jener
alte Prieſter konnte in mehr als einem Betracht
ſagen „o ihr ewigen Kinder, die ihr nichts
„wißt und ſo viel ſchwatzt, nichts habt, und
„alles ſo ſchoͤn vorzeiget„ und der alte Mor-
genlaͤnder aus ſeiner Patriarchenhuͤtte wuͤrde
noch heftiger ſprechen — ihnen ſtatt Religion,
Menſchheit und Tugend, nur Bulerey mit alle
dem Schuld geben koͤnnen u. ſ. w. Seys.
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Zitationshilfe: | [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/41>, abgerufen am 16.02.2025. |