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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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senhaufe das Weltall -- was für ein Werk
dieß Ganze!
Bey der kleinsten Spanne, die
wir davon übersehen, so viel Ordnung und
so viel Wirrung, Knote und Anlage zur Auf-
lösung
-- beydes eben für die überschwängli-
che Herrlichkeit im Allgemeinen, Sicherheit und
Gewährleistung. Elend klein müßte es seyn,
wenn ich, Fliege, es übersehen könnte! wie
wenige Weisheit und Mannigfaltigkeit, wenn
ein durch die Welt Taumelnder, der so viel
Mühe hat, nur Einen Gedanken fest zu halten,
nie eine Verwickelung fände? -- Jn einer
Spanne, die nichts ist, und wo doch tausend
Gedanken
und Saamenkörner zugleich stre-
ben:
in einem halben Zeitmaas der Tonkunst
von zwey Schlägen, wo sich aber eben vielleicht
die schwersten Töne zur süssesten Auflösung
wickeln -- wer bin ich, daß ich urtheile, da
ich eben nur den grossen Saal queer durchge-
he,
und einen Seitenwinkel des grossen verdeck-
ten Gemäldes
im dunkelsten Schimmer beäu-
ge? Was Sokrates zu den Schriften eines
Menschen sagte, der eingeschränkt wie er mit
ihm in Einem Maaße der Kräfte schrieb --
was soll ich zu dem grossen Buche Gottes
sagen, das über Welten und Zeiten gehet!

Von



ſenhaufe das Weltall — was fuͤr ein Werk
dieß Ganze!
Bey der kleinſten Spanne, die
wir davon uͤberſehen, ſo viel Ordnung und
ſo viel Wirrung, Knote und Anlage zur Auf-
loͤſung
— beydes eben fuͤr die uͤberſchwaͤngli-
che Herrlichkeit im Allgemeinen, Sicherheit und
Gewaͤhrleiſtung. Elend klein muͤßte es ſeyn,
wenn ich, Fliege, es uͤberſehen koͤnnte! wie
wenige Weisheit und Mannigfaltigkeit, wenn
ein durch die Welt Taumelnder, der ſo viel
Muͤhe hat, nur Einen Gedanken feſt zu halten,
nie eine Verwickelung faͤnde? — Jn einer
Spanne, die nichts iſt, und wo doch tauſend
Gedanken
und Saamenkoͤrner zugleich ſtre-
ben:
in einem halben Zeitmaas der Tonkunſt
von zwey Schlaͤgen, wo ſich aber eben vielleicht
die ſchwerſten Toͤne zur ſuͤſſeſten Aufloͤſung
wickeln — wer bin ich, daß ich urtheile, da
ich eben nur den groſſen Saal queer durchge-
he,
und einen Seitenwinkel des groſſen verdeck-
ten Gemaͤldes
im dunkelſten Schimmer beaͤu-
ge? Was Sokrates zu den Schriften eines
Menſchen ſagte, der eingeſchraͤnkt wie er mit
ihm in Einem Maaße der Kraͤfte ſchrieb —
was ſoll ich zu dem groſſen Buche Gottes
ſagen, das uͤber Welten und Zeiten gehet!

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[188/0192] ſenhaufe das Weltall — was fuͤr ein Werk dieß Ganze! Bey der kleinſten Spanne, die wir davon uͤberſehen, ſo viel Ordnung und ſo viel Wirrung, Knote und Anlage zur Auf- loͤſung — beydes eben fuͤr die uͤberſchwaͤngli- che Herrlichkeit im Allgemeinen, Sicherheit und Gewaͤhrleiſtung. Elend klein muͤßte es ſeyn, wenn ich, Fliege, es uͤberſehen koͤnnte! wie wenige Weisheit und Mannigfaltigkeit, wenn ein durch die Welt Taumelnder, der ſo viel Muͤhe hat, nur Einen Gedanken feſt zu halten, nie eine Verwickelung faͤnde? — Jn einer Spanne, die nichts iſt, und wo doch tauſend Gedanken und Saamenkoͤrner zugleich ſtre- ben: in einem halben Zeitmaas der Tonkunſt von zwey Schlaͤgen, wo ſich aber eben vielleicht die ſchwerſten Toͤne zur ſuͤſſeſten Aufloͤſung wickeln — wer bin ich, daß ich urtheile, da ich eben nur den groſſen Saal queer durchge- he, und einen Seitenwinkel des groſſen verdeck- ten Gemaͤldes im dunkelſten Schimmer beaͤu- ge? Was Sokrates zu den Schriften eines Menſchen ſagte, der eingeſchraͤnkt wie er mit ihm in Einem Maaße der Kraͤfte ſchrieb — was ſoll ich zu dem groſſen Buche Gottes ſagen, das uͤber Welten und Zeiten gehet! Von

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/192>, abgerufen am 22.11.2024.