Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



und folgsamste Lehrling? Alles ward als
Muttermilch und väterlicher Wein gekostet!
Alles in Kindesherzen aufbewahrt und da mit
dem Siegel göttlicher Autorität versiegelt!
der menschliche Geist bekam die ersten Formen
von Weisheit und Tugend mit einer Einfalt,
Stärke
und Hoheit, die nun -- gerade her-
ausgesagt -- in unsrer philosophischen, kal-
ten europäischen Welt wohl nichts, gar nichts
ihres gleichen hat. Und eben weil wir so
unfähig sind, sie mehr zu verstehen! zu füh-
len!
geschweige denn zu genießen -- so spot-
ten
wir, läugnen und mißdeuten! der beste
Beweis!

Ohne Zweifel gehört hiezu auch Religion,
oder vielmehr war Religion "das Element,
"in dem das alles lebt' und webte." Auch
von allem göttlichen Eindruck bey Schö-
pfung
und frühester Pflege des Menschenge-
schlechts, (dem Ganzen so nöthig als jedem
einzelnen Kinde nach seiner Geburt, Pflege
der Eltern) von alle dem auch den Blick ent-
fernt, wenn Greis, Vater, König so natürlich
Gottes Stelle vertrat, und sich eben so na-
türlich der Gehorsam unter väterlichen Wil-
len, das Ankleben an alte Gewohnheit,
und

die



und folgſamſte Lehrling? Alles ward als
Muttermilch und vaͤterlicher Wein gekoſtet!
Alles in Kindesherzen aufbewahrt und da mit
dem Siegel goͤttlicher Autoritaͤt verſiegelt!
der menſchliche Geiſt bekam die erſten Formen
von Weisheit und Tugend mit einer Einfalt,
Staͤrke
und Hoheit, die nun — gerade her-
ausgeſagt — in unſrer philoſophiſchen, kal-
ten europaͤiſchen Welt wohl nichts, gar nichts
ihres gleichen hat. Und eben weil wir ſo
unfaͤhig ſind, ſie mehr zu verſtehen! zu fuͤh-
len!
geſchweige denn zu genießen — ſo ſpot-
ten
wir, laͤugnen und mißdeuten! der beſte
Beweiſ!

Ohne Zweifel gehoͤrt hiezu auch Religion,
oder vielmehr war Religion „das Element,
„in dem das alles lebt’ und webte.“ Auch
von allem goͤttlichen Eindruck bey Schoͤ-
pfung
und fruͤheſter Pflege des Menſchenge-
ſchlechts, (dem Ganzen ſo noͤthig als jedem
einzelnen Kinde nach ſeiner Geburt, Pflege
der Eltern) von alle dem auch den Blick ent-
fernt, wenn Greis, Vater, Koͤnig ſo natuͤrlich
Gottes Stelle vertrat, und ſich eben ſo na-
tuͤrlich der Gehorſam unter vaͤterlichen Wil-
len, das Ankleben an alte Gewohnheit,
und

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="15"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> und <hi rendition="#b">folg&#x017F;am&#x017F;te Lehrling?</hi> Alles ward als<lb/>
Muttermilch und va&#x0364;terlicher Wein geko&#x017F;tet!<lb/>
Alles in Kindesherzen aufbewahrt und da mit<lb/>
dem Siegel <hi rendition="#b">go&#x0364;ttlicher Autorita&#x0364;t</hi> ver&#x017F;iegelt!<lb/>
der men&#x017F;chliche Gei&#x017F;t bekam die er&#x017F;ten Formen<lb/>
von Weisheit und Tugend mit einer <hi rendition="#b">Einfalt,<lb/>
Sta&#x0364;rke</hi> und <hi rendition="#b">Hoheit,</hi> die nun &#x2014; gerade her-<lb/>
ausge&#x017F;agt &#x2014; in un&#x017F;rer philo&#x017F;ophi&#x017F;chen, kal-<lb/>
ten europa&#x0364;i&#x017F;chen Welt wohl nichts, gar nichts<lb/>
ihres gleichen hat. Und eben weil wir &#x017F;o<lb/>
unfa&#x0364;hig &#x017F;ind, &#x017F;ie mehr zu ver&#x017F;tehen! zu <hi rendition="#b">fu&#x0364;h-<lb/>
len!</hi> ge&#x017F;chweige denn zu genießen &#x2014; &#x017F;o <hi rendition="#b">&#x017F;pot-<lb/>
ten</hi> wir, <hi rendition="#b">la&#x0364;ugnen</hi> und <hi rendition="#b">mißdeuten!</hi> der be&#x017F;te<lb/>
Bewei&#x017F;!</p><lb/>
          <p>Ohne Zweifel geho&#x0364;rt hiezu auch <hi rendition="#b">Religion,</hi><lb/>
oder vielmehr war <hi rendition="#b">Religion</hi> &#x201E;das <hi rendition="#b">Element,</hi><lb/>
&#x201E;in <hi rendition="#b">dem das alles lebt&#x2019; und webte.&#x201C;</hi> Auch<lb/>
von allem <hi rendition="#b">go&#x0364;ttlichen Eindruck</hi> bey <hi rendition="#b">Scho&#x0364;-<lb/>
pfung</hi> und fru&#x0364;he&#x017F;ter <hi rendition="#b">Pflege</hi> des Men&#x017F;chenge-<lb/>
&#x017F;chlechts, (dem <hi rendition="#b">Ganzen</hi> &#x017F;o no&#x0364;thig als jedem<lb/><hi rendition="#b">einzelnen Kinde</hi> nach &#x017F;einer Geburt, Pflege<lb/>
der Eltern) von alle dem auch den Blick ent-<lb/>
fernt, wenn Greis, Vater, Ko&#x0364;nig &#x017F;o natu&#x0364;rlich<lb/><hi rendition="#b">Gottes Stelle</hi> vertrat, und &#x017F;ich eben &#x017F;o na-<lb/>
tu&#x0364;rlich der <hi rendition="#b">Gehor&#x017F;am unter va&#x0364;terlichen Wil-<lb/>
len, das Ankleben an alte Gewohnheit,</hi> und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0019] und folgſamſte Lehrling? Alles ward als Muttermilch und vaͤterlicher Wein gekoſtet! Alles in Kindesherzen aufbewahrt und da mit dem Siegel goͤttlicher Autoritaͤt verſiegelt! der menſchliche Geiſt bekam die erſten Formen von Weisheit und Tugend mit einer Einfalt, Staͤrke und Hoheit, die nun — gerade her- ausgeſagt — in unſrer philoſophiſchen, kal- ten europaͤiſchen Welt wohl nichts, gar nichts ihres gleichen hat. Und eben weil wir ſo unfaͤhig ſind, ſie mehr zu verſtehen! zu fuͤh- len! geſchweige denn zu genießen — ſo ſpot- ten wir, laͤugnen und mißdeuten! der beſte Beweiſ! Ohne Zweifel gehoͤrt hiezu auch Religion, oder vielmehr war Religion „das Element, „in dem das alles lebt’ und webte.“ Auch von allem goͤttlichen Eindruck bey Schoͤ- pfung und fruͤheſter Pflege des Menſchenge- ſchlechts, (dem Ganzen ſo noͤthig als jedem einzelnen Kinde nach ſeiner Geburt, Pflege der Eltern) von alle dem auch den Blick ent- fernt, wenn Greis, Vater, Koͤnig ſo natuͤrlich Gottes Stelle vertrat, und ſich eben ſo na- tuͤrlich der Gehorſam unter vaͤterlichen Wil- len, das Ankleben an alte Gewohnheit, und die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/19
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/19>, abgerufen am 25.11.2024.