Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



satzes von Kräften halber, zusieht, lobt und
befördert -- oder wenn sie auch aufs ärgste
sich widersetzte: den Grund der "fortgehenden
"Verfeinerung
und des Aufdringens zu Rai-
"sonnement, Ueppigkeit, Freyheit
und Frech-
"heit
" wird sie nimmermehr heben. Wie
sehr das wahre freywillige Ansehen der Obrig-
keit,
Aeltern und höchsten Stände in der Welt,
nur seit einem Jahrhunderte gefallen, ist bey
einer kleinen Vergleichung unsäglich: auf zehn-
fache Weise tragen unsre kleine und große Große
dazu weiterhin bey: Schranken und Schlag-
bäume
niedergerissen: Vorurtheile, wie es
heißt, des Standes, der Erziehung, und
ja der Religion unter die Füsse getreten und
zu ihrem Schaden selbst verspottet: wir wer-
den alle -- durch einerley Erziehung, Phi-
losophie, Jrreligion, Aufklärung, Laster,

und endlich zur Zugabe, durch Unterdrückung,
Blutdurst
und unersättliche Habsucht, die
schon die Gemüther weckt und zum Selbstge-
fühl bringt, werden wir alle -- Heil uns, und
nach vielen Unordnungen und Elende, Heil uns!
was unsre Philosophie so rühmet und an-
strebt, -- Herr und Knecht, Vater und
Kind, Jüngling und die fremdeste Jung-
frau,
wir alle werden Brüder. Die Herren

weißa-



ſatzes von Kraͤften halber, zuſieht, lobt und
befoͤrdert — oder wenn ſie auch aufs aͤrgſte
ſich widerſetzte: den Grund der „fortgehenden
„Verfeinerung
und des Aufdringens zu Rai-
„ſonnement, Ueppigkeit, Freyheit
und Frech-
„heit
„ wird ſie nimmermehr heben. Wie
ſehr das wahre freywillige Anſehen der Obrig-
keit,
Aeltern und hoͤchſten Staͤnde in der Welt,
nur ſeit einem Jahrhunderte gefallen, iſt bey
einer kleinen Vergleichung unſaͤglich: auf zehn-
fache Weiſe tragen unſre kleine und große Große
dazu weiterhin bey: Schranken und Schlag-
baͤume
niedergeriſſen: Vorurtheile, wie es
heißt, des Standes, der Erziehung, und
ja der Religion unter die Fuͤſſe getreten und
zu ihrem Schaden ſelbſt verſpottet: wir wer-
den alle — durch einerley Erziehung, Phi-
loſophie, Jrreligion, Aufklaͤrung, Laſter,

und endlich zur Zugabe, durch Unterdruͤckung,
Blutdurſt
und unerſaͤttliche Habſucht, die
ſchon die Gemuͤther weckt und zum Selbſtge-
fuͤhl bringt, werden wir alle — Heil uns, und
nach vielen Unordnungen und Elende, Heil uns!
was unſre Philoſophie ſo ruͤhmet und an-
ſtrebt, — Herr und Knecht, Vater und
Kind, Juͤngling und die fremdeſte Jung-
frau,
wir alle werden Bruͤder. Die Herren

weißa-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0177" n="173"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw><hi rendition="#b">&#x017F;atzes</hi> von Kra&#x0364;ften halber, <hi rendition="#b">zu&#x017F;ieht, lobt</hi> und<lb/><hi rendition="#b">befo&#x0364;rdert</hi> &#x2014; oder wenn &#x017F;ie auch aufs a&#x0364;rg&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ich wider&#x017F;etzte: den Grund der <hi rendition="#b">&#x201E;fortgehenden<lb/>
&#x201E;Verfeinerung</hi> und des <hi rendition="#b">Aufdringens</hi> zu <hi rendition="#b">Rai-<lb/>
&#x201E;&#x017F;onnement, Ueppigkeit, Freyheit</hi> und <hi rendition="#b">Frech-<lb/>
&#x201E;heit</hi>&#x201E; wird &#x017F;ie nimmermehr <hi rendition="#b">heben.</hi> Wie<lb/>
&#x017F;ehr das <hi rendition="#b">wahre freywillige An&#x017F;ehen</hi> der <hi rendition="#b">Obrig-<lb/>
keit,</hi> Aeltern und ho&#x0364;ch&#x017F;ten Sta&#x0364;nde in der Welt,<lb/>
nur <hi rendition="#b">&#x017F;eit einem Jahrhunderte gefallen,</hi> i&#x017F;t bey<lb/>
einer kleinen Vergleichung un&#x017F;a&#x0364;glich: auf zehn-<lb/>
fache Wei&#x017F;e tragen un&#x017F;re kleine und große Große<lb/>
dazu weiterhin bey: <hi rendition="#b">Schranken</hi> und <hi rendition="#b">Schlag-<lb/>
ba&#x0364;ume</hi> niedergeri&#x017F;&#x017F;en: <hi rendition="#b">Vorurtheile,</hi> wie es<lb/>
heißt, des <hi rendition="#b">Standes,</hi> der <hi rendition="#b">Erziehung,</hi> und<lb/>
ja <hi rendition="#b">der Religion</hi> unter die Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e getreten und<lb/>
zu ihrem Schaden &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;pottet: wir wer-<lb/>
den alle &#x2014; durch <hi rendition="#b">einerley Erziehung, Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophie, Jrreligion, Aufkla&#x0364;rung, La&#x017F;ter,</hi><lb/>
und endlich zur Zugabe, durch <hi rendition="#b">Unterdru&#x0364;ckung,<lb/>
Blutdur&#x017F;t</hi> und <hi rendition="#b">uner&#x017F;a&#x0364;ttliche Hab&#x017F;ucht,</hi> die<lb/>
&#x017F;chon die Gemu&#x0364;ther <hi rendition="#b">weckt</hi> und zum Selb&#x017F;tge-<lb/>
fu&#x0364;hl <hi rendition="#b">bringt,</hi> werden wir alle &#x2014; Heil uns, und<lb/>
nach vielen Unordnungen und Elende, <hi rendition="#b">Heil uns!</hi><lb/>
was un&#x017F;re Philo&#x017F;ophie &#x017F;o ru&#x0364;hmet und an-<lb/>
&#x017F;trebt, &#x2014; <hi rendition="#b">Herr</hi> und <hi rendition="#b">Knecht, Vater</hi> und<lb/><hi rendition="#b">Kind, Ju&#x0364;ngling</hi> und die fremde&#x017F;te <hi rendition="#b">Jung-<lb/>
frau,</hi> wir alle werden <hi rendition="#b">Bru&#x0364;der.</hi> Die Herren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">weißa-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0177] ſatzes von Kraͤften halber, zuſieht, lobt und befoͤrdert — oder wenn ſie auch aufs aͤrgſte ſich widerſetzte: den Grund der „fortgehenden „Verfeinerung und des Aufdringens zu Rai- „ſonnement, Ueppigkeit, Freyheit und Frech- „heit„ wird ſie nimmermehr heben. Wie ſehr das wahre freywillige Anſehen der Obrig- keit, Aeltern und hoͤchſten Staͤnde in der Welt, nur ſeit einem Jahrhunderte gefallen, iſt bey einer kleinen Vergleichung unſaͤglich: auf zehn- fache Weiſe tragen unſre kleine und große Große dazu weiterhin bey: Schranken und Schlag- baͤume niedergeriſſen: Vorurtheile, wie es heißt, des Standes, der Erziehung, und ja der Religion unter die Fuͤſſe getreten und zu ihrem Schaden ſelbſt verſpottet: wir wer- den alle — durch einerley Erziehung, Phi- loſophie, Jrreligion, Aufklaͤrung, Laſter, und endlich zur Zugabe, durch Unterdruͤckung, Blutdurſt und unerſaͤttliche Habſucht, die ſchon die Gemuͤther weckt und zum Selbſtge- fuͤhl bringt, werden wir alle — Heil uns, und nach vielen Unordnungen und Elende, Heil uns! was unſre Philoſophie ſo ruͤhmet und an- ſtrebt, — Herr und Knecht, Vater und Kind, Juͤngling und die fremdeſte Jung- frau, wir alle werden Bruͤder. Die Herren weißa-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/177
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/177>, abgerufen am 22.11.2024.