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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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mit hundert Pforten verschlossen, mit hundert
geöfnet -- der Labyrinth ist "Pallast Got-
"tes, zu seiner Allerfüllung, vielleicht zu sei-
"nem Lustanblicke, nicht zu deinem!"

Abgrund die ganze Welt, der Anblick Gottes
in einem Momente. -- Abgrund, worinn ich
von allen Seiten verloren stehe! sehe ein gros-
ses Werk ohne Namen, und überall voll Na-
men!
voll Stimmen und Kräfte! Jch füh-
le mich nicht an dem Orte, wo die Harmonie
aller dieser Stimmen in ein Ohr tönt, aber was
ich hier an meinem Orte von verkürztem, ver-
wirrendem Schalle höre, so viel weiß und höre
ich gewiß, hat auch was harmonisches! tönt
auch zu Lobgesang im Ohre dessen, für
den Raum und Zeit nichts sind. -- Men-
schenohr, weilet wenige Augenblicke, hört
auch nur wenige Töne, oft nur ein ver-
drüßliches Stimmen von Mißtönen, denn
es kam dieß Ohr eben zur Zeit des Stim-
mens und traf unglücklicher Weise vielleicht in
den Wirbelwind eines Winkels. Der aufge-
klärte Mensch der spätern Zeit, Allhörer nicht
blos, will er seyn, sondern selbst der letzte Sum-
menton
aller Töne! Spiegel der Allvergan-
genheit,
und Repräsentant des Zwecks der

Kom-



mit hundert Pforten verſchloſſen, mit hundert
geoͤfnet — der Labyrinth iſt „Pallaſt Got-
tes, zu ſeiner Allerfuͤllung, vielleicht zu ſei-
nem Luſtanblicke, nicht zu deinem!„

Abgrund die ganze Welt, der Anblick Gottes
in einem Momente. — Abgrund, worinn ich
von allen Seiten verloren ſtehe! ſehe ein groſ-
ſes Werk ohne Namen, und uͤberall voll Na-
men!
voll Stimmen und Kraͤfte! Jch fuͤh-
le mich nicht an dem Orte, wo die Harmonie
aller dieſer Stimmen in ein Ohr toͤnt, aber was
ich hier an meinem Orte von verkuͤrztem, ver-
wirrendem Schalle hoͤre, ſo viel weiß und hoͤre
ich gewiß, hat auch was harmoniſches! toͤnt
auch zu Lobgeſang im Ohre deſſen, fuͤr
den Raum und Zeit nichts ſind. — Men-
ſchenohr, weilet wenige Augenblicke, hoͤrt
auch nur wenige Toͤne, oft nur ein ver-
druͤßliches Stimmen von Mißtoͤnen, denn
es kam dieß Ohr eben zur Zeit des Stim-
mens und traf ungluͤcklicher Weiſe vielleicht in
den Wirbelwind eines Winkels. Der aufge-
klaͤrte Menſch der ſpaͤtern Zeit, Allhoͤrer nicht
blos, will er ſeyn, ſondern ſelbſt der letzte Sum-
menton
aller Toͤne! Spiegel der Allvergan-
genheit,
und Repraͤſentant des Zwecks der

Kom-
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[144/0148] mit hundert Pforten verſchloſſen, mit hundert geoͤfnet — der Labyrinth iſt „Pallaſt Got- „tes, zu ſeiner Allerfuͤllung, vielleicht zu ſei- „nem Luſtanblicke, nicht zu deinem!„ Abgrund die ganze Welt, der Anblick Gottes in einem Momente. — Abgrund, worinn ich von allen Seiten verloren ſtehe! ſehe ein groſ- ſes Werk ohne Namen, und uͤberall voll Na- men! voll Stimmen und Kraͤfte! Jch fuͤh- le mich nicht an dem Orte, wo die Harmonie aller dieſer Stimmen in ein Ohr toͤnt, aber was ich hier an meinem Orte von verkuͤrztem, ver- wirrendem Schalle hoͤre, ſo viel weiß und hoͤre ich gewiß, hat auch was harmoniſches! toͤnt auch zu Lobgeſang im Ohre deſſen, fuͤr den Raum und Zeit nichts ſind. — Men- ſchenohr, weilet wenige Augenblicke, hoͤrt auch nur wenige Toͤne, oft nur ein ver- druͤßliches Stimmen von Mißtoͤnen, denn es kam dieß Ohr eben zur Zeit des Stim- mens und traf ungluͤcklicher Weiſe vielleicht in den Wirbelwind eines Winkels. Der aufge- klaͤrte Menſch der ſpaͤtern Zeit, Allhoͤrer nicht blos, will er ſeyn, ſondern ſelbſt der letzte Sum- menton aller Toͤne! Spiegel der Allvergan- genheit, und Repraͤſentant des Zwecks der Kom-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/148>, abgerufen am 22.11.2024.