Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.lang gleichsam verzückt in seine Sphäre der Nun sezze ich noch dazu: sein Feuer facht Denk-
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lang gleichſam verzuͤckt in ſeine Sphaͤre der
Gedanken ſind: ſein Ton ſchallt noch in un-
ſern Ohren; wir ſehen mit ſeinen Augen;
wir athmen in ſeiner Denkart wie in unſrem
Elemente: die Saite der poetiſchen Empfin-
dung toͤnt in uns, erweckt von der ſeinigen,
mit ihr zuſammen: die Worte formen ſich
nach der Wendung ſeines Geiſtes: wir leſen
uſque ad ſcribendi ſollicitudinem — und
ſchreiben. Nun lebt noch ſeine Sprache in
uns: ſein Rhythmus toͤnt noch in unſerm
Ohr: die Reihe ſeiner Bilder ſteht noch vor
unſerm Auge: wir ahmen in ſeiner Sprache,
in ſeinem Sylbenmaaß, in ſeiner Compoſi-
tion der Gemaͤlde nach, und zeigen uns alſo
als Virtuoſen.
Nun ſezze ich noch dazu: ſein Feuer facht
unſern Geiſt an, wir ſchaffen in ſeine Bilder
neue Zuͤge, und praͤgen ſeine Jdeen um, wir
bilden uns nach ſeiner Form neue Figuren,
ein Ausdruck gelingt uns vor ihm; eine Wen-
dung glaͤnzt hervor; ein Gleichniß mahlen
wir beſſer aus — wir werden mehr als Nach-
ahmer, wir werden Nacheiferer. Unſere
Nachbildungen werden fuͤr uns angenehme
Denk-
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Zitationshilfe: | Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/98>, abgerufen am 18.07.2024. |