zu ordnen, zu wählen. Er bildet sich das Ganze des Gedankens in seinem Geiste, stellet jeden Theilbegriff schnell an seinen Platz, in sein gehöriges Licht, zu seinem eigenthümli- chen Zweck, in allem erforderlichen Gleich- maaße: das Bild schaffet sich in seinem Kopf und Tritt, vollständig an Gliedmaaßen, und gesund an der Farbe, mit glänzenden Waf- fen gerüstet, hervor, und wird Ausdruck. Dieser ist eine sichtbare Wohnung, in die sich der Gedanke mit Gewalt drängete, ihn ganz einnahm, alles an ihm belebte, und zusam- menfügte. Da steht er nun sichtbar und hörbar, wie ihn der andre unsichtbar dachte: soll ich den Ausdruck ändern, so schwindet der Gedanke: habe ich den Gedanken gefas- set, und will ihn sagen: da steht wieder das Wort! Der Schriststeller dachte Worte, und spricht Gedanken. Er wollte sich nicht um den Ausdruck allein bekümmern, ihr seine beurtheilende Schulmeister: er hat nicht ge- schrieben, um euch ein Exempel-Magazin zu liefern: er gönnt euch die Freude, ihm hier unsichtbare Fehler des Stils abzulauern; er gönnet euch, ihr Groß- und Kleinmeister der
Schreib-
zu ordnen, zu waͤhlen. Er bildet ſich das Ganze des Gedankens in ſeinem Geiſte, ſtellet jeden Theilbegriff ſchnell an ſeinen Platz, in ſein gehoͤriges Licht, zu ſeinem eigenthuͤmli- chen Zweck, in allem erforderlichen Gleich- maaße: das Bild ſchaffet ſich in ſeinem Kopf und Tritt, vollſtaͤndig an Gliedmaaßen, und geſund an der Farbe, mit glaͤnzenden Waf- fen geruͤſtet, hervor, und wird Ausdruck. Dieſer iſt eine ſichtbare Wohnung, in die ſich der Gedanke mit Gewalt draͤngete, ihn ganz einnahm, alles an ihm belebte, und zuſam- menfuͤgte. Da ſteht er nun ſichtbar und hoͤrbar, wie ihn der andre unſichtbar dachte: ſoll ich den Ausdruck aͤndern, ſo ſchwindet der Gedanke: habe ich den Gedanken gefaſ- ſet, und will ihn ſagen: da ſteht wieder das Wort! Der Schriſtſteller dachte Worte, und ſpricht Gedanken. Er wollte ſich nicht um den Ausdruck allein bekuͤmmern, ihr ſeine beurtheilende Schulmeiſter: er hat nicht ge- ſchrieben, um euch ein Exempel-Magazin zu liefern: er goͤnnt euch die Freude, ihm hier unſichtbare Fehler des Stils abzulauern; er goͤnnet euch, ihr Groß- und Kleinmeiſter der
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zu ordnen, zu waͤhlen. Er bildet ſich das
Ganze des Gedankens in ſeinem Geiſte, ſtellet
jeden Theilbegriff ſchnell an ſeinen Platz, in
ſein gehoͤriges Licht, zu ſeinem eigenthuͤmli-
chen Zweck, in allem erforderlichen Gleich-
maaße: das Bild ſchaffet ſich in ſeinem Kopf
und Tritt, vollſtaͤndig an Gliedmaaßen, und
geſund an der Farbe, mit glaͤnzenden Waf-
fen geruͤſtet, hervor, und wird Ausdruck.
Dieſer iſt eine ſichtbare Wohnung, in die ſich
der Gedanke mit Gewalt draͤngete, ihn ganz
einnahm, alles an ihm belebte, und zuſam-
menfuͤgte. Da ſteht er nun ſichtbar und
hoͤrbar, wie ihn der andre unſichtbar dachte:
ſoll ich den Ausdruck aͤndern, ſo ſchwindet
der Gedanke: habe ich den Gedanken gefaſ-
ſet, und will ihn ſagen: da ſteht wieder das
Wort! Der Schriſtſteller dachte Worte,
und ſpricht Gedanken. Er wollte ſich nicht
um den Ausdruck allein bekuͤmmern, ihr ſeine
beurtheilende Schulmeiſter: er hat nicht ge-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/88>, abgerufen am 27.11.2024.
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