Ausdruck erhaschen wollte, und wie die Alten zu sprechen, weil man wiederum den Aus- druck vom Gedanken abgesondert betrachtete. Je mehr ich der Sache nachdenke, daß man es für nüzzlich, ja für nothwendig habe hal- ten können, in Poesten Gedanke und Ausdruck unverbunden zu behandeln, in Poeticken un- verbunden zu lehren, und in Alten unverbun- den zu zergliedern: desto fremder kömmt mir diese Zerreißung vor.
Gedanke und Ausdruck! verhält er sich hier wie ein Kleid zu seinem Körper *? Das beste Kleid ist bey einem schönen Körper blos Hinderniß. -- Verhält er sich, wie die Haut zum Körper **? Auch noch nicht gnug: die Farbe und glatte Haut macht nie die Schön- heit vollkommen aus. Wie eine Braut bei ihrem Geliebten, wenn derselbe seinen Arm um sie geschlungen, an ihrem Munde hanget: Wie zwei zusammen Vermälte, die sich ein- ander mittheilen; ein Paar Zwillinge, die zusammen gebildet und erzogen, sich lieben und begleiten wie Shakespears Freundin- nen? Diese Bilder sind bedeutend, aber wie
mich
* Litt. Br. Th. 17. p. 114.
** p. 114.
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Ausdruck erhaſchen wollte, und wie die Alten zu ſprechen, weil man wiederum den Aus- druck vom Gedanken abgeſondert betrachtete. Je mehr ich der Sache nachdenke, daß man es fuͤr nuͤzzlich, ja fuͤr nothwendig habe hal- ten koͤnnen, in Poeſten Gedanke und Ausdruck unverbunden zu behandeln, in Poeticken un- verbunden zu lehren, und in Alten unverbun- den zu zergliedern: deſto fremder koͤmmt mir dieſe Zerreißung vor.
Gedanke und Ausdruck! verhaͤlt er ſich hier wie ein Kleid zu ſeinem Koͤrper *? Das beſte Kleid iſt bey einem ſchoͤnen Koͤrper blos Hinderniß. — Verhaͤlt er ſich, wie die Haut zum Koͤrper **? Auch noch nicht gnug: die Farbe und glatte Haut macht nie die Schoͤn- heit vollkommen aus. Wie eine Braut bei ihrem Geliebten, wenn derſelbe ſeinen Arm um ſie geſchlungen, an ihrem Munde hanget: Wie zwei zuſammen Vermaͤlte, die ſich ein- ander mittheilen; ein Paar Zwillinge, die zuſammen gebildet und erzogen, ſich lieben und begleiten wie Shakeſpears Freundin- nen? Dieſe Bilder ſind bedeutend, aber wie
mich
* Litt. Br. Th. 17. p. 114.
** p. 114.
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Ausdruck erhaſchen wollte, und wie die Alten
zu ſprechen, weil man wiederum den Aus-
druck vom Gedanken abgeſondert betrachtete.
Je mehr ich der Sache nachdenke, daß man
es fuͤr nuͤzzlich, ja fuͤr nothwendig habe hal-
ten koͤnnen, in Poeſten Gedanke und Ausdruck
unverbunden zu behandeln, in Poeticken un-
verbunden zu lehren, und in Alten unverbun-
den zu zergliedern: deſto fremder koͤmmt mir
dieſe Zerreißung vor.
Gedanke und Ausdruck! verhaͤlt er ſich
hier wie ein Kleid zu ſeinem Koͤrper *? Das
beſte Kleid iſt bey einem ſchoͤnen Koͤrper blos
Hinderniß. — Verhaͤlt er ſich, wie die Haut
zum Koͤrper **? Auch noch nicht gnug: die
Farbe und glatte Haut macht nie die Schoͤn-
heit vollkommen aus. Wie eine Braut bei
ihrem Geliebten, wenn derſelbe ſeinen Arm
um ſie geſchlungen, an ihrem Munde hanget:
Wie zwei zuſammen Vermaͤlte, die ſich ein-
ander mittheilen; ein Paar Zwillinge, die
zuſammen gebildet und erzogen, ſich lieben
und begleiten wie Shakeſpears Freundin-
nen? Dieſe Bilder ſind bedeutend, aber wie
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* Litt. Br. Th. 17. p. 114.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/77>, abgerufen am 22.11.2024.
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